Heute ist der achte Reisetag und es deutet alles darauf hin, daß das Ende
unserer Tour kurz bevorsteht. Wir liegen im nördlichen Teil des Erg Chech fest.
Eigentlich hatten wir vor, die mauretanischen Oasen Ouadane und Chinguetti über
Chenachen, Chegga und El Mreiti zu erreichen. Doch nun ist Schluß, kaum 250 km
hinter Adrar. Haushohe, puderweiche Dünen versperren den Weg durch eines der
wenigen Gassis, das uns an Hassi Bou Bernous vorbei nach Süden führen
sollte.
im Erg Chech: leichte Querung eines weichen Dünenkamms
Ein Jahr zuvor hatten wir die Gegend nordwestlich Adrars erkundet. Damals
stießen wir zu unserer Überaschung auf eine neu angelegte Wellblechpiste,
die ganz offensichtlich in die gewünschte Richtung führte, aber von
schweren Militärlastwagen frequentiert wurde. Das Risiko, von einer Patrouille
angehalten und zurückgeschickt zu werden, wollen wir jetzt nicht eingehen.
So quälen wir uns nun mühsam durch unangenehmes Gelände. Es dauert
nicht allzu lange und wir finden uns auf der Piste wieder. Die Lkw-Lenker
grüßten freundlich, fast so, als hätten sie hier noch nie einen
Touristen gesehen. Und tatsächlich: ein kleiner Plausch mit einem
Sonacom-Reparaturtrupp am Wegesrand bringt Neuigkeiten. Wir befinden uns inmitten
eines Sperrgebietes, in dem wir natürlich nichts verloren haben. Es
dämmert uns: Das große Lager, das wir tags zuvor von weitem gesehen und
wohlweislich umgangen hatten, war ein Militärcamp. Freundlich, mit einem
leichten Anflug von Entsetzen, werden wir jetzt auf diese Tatsache aufmerksam gemacht.
Genauso freundlich verabschieden wir uns, nicht ohne den Eindruck zu hinterlassen,
auf dem schnellsten Weg dieses verbotene Gebiet verlassen zu wollen. In Wirklichkeit
nutzen wir die erstbeste Gelegenheit, uns ungesehen zum Dünenrand durchzuschlagen,
um unter Ausnutzung der Geländeunebenheiten weiter nach Westen vorzudringen.
Klar, was uns erwarten würde, wenn wir Pech hätten: Verhaftung, zumindest
aber einige Tage Zwangsaufenthalt. Auf jeden Fall wäre die Tour geplatzt.
Frühe Umkehr
So sitzen wir nun also mit unserem Begleitteam im Kreise und beratschlagen. Auf den
Detailkarten finden wir nur drei Passagen, um uns an kritischen Punkten
vorbeizuschwindeln. Aber schon die erste hat sich als kaum bezwingbar erwiesen.
Die eine oder andere weiche Düne könnten unsere schwerbeladenen Fahrzeuge
vielleicht gerade noch bezwingen. Ein Blick auf die windabgewandte Seite des
Dünenzugs läßt die Idee der Traversierung aber als allzu verwegen
erscheinen. Der Gedanke, hier im Notfall wieder hinauffahren zu müssen, bereitet
uns Kopfzerbrechen. Nur eine einzige Barriere weiter hinten im Gassi und wir
wären gefangen! Einstimmig beschließen wir, umzukehren und einen weniger
riskanten Weg nach Ouadane zu suchen. Schließlich haben wir nur sechs Wochen
Zeit. Zum Trost für die herbe Enttäuschung entfachen wir ein Lagerfeuer;
es sollte das einzige auf unserer Tour bleiben.
Vorbereitungen
Tausende von Autospuren durchziehen das Land des Durstes, wie die Tanesruft treffend
genannt wird. Was aber verbirgt sich jenseits des flachen Horizonts drüben im
Westen? Die Michelinkarte zeigt da nur gelbe Flecken, diese aber in beeindruckender
Ausdehnung. Pisten fehlen völlig, sehen wir von den wenigen dünnen Linien
ab, die lediglich ein Durchkommen signalisieren. Diese Gegend interessiert uns. Wir
versuchen, mehr über sie in Erfahrung zu bringen, müssen aber bald feststellen,
daß brauchbare Informationen kaum vorhanden sind. Erst in der Münchner
Staatsbibliothek werden wir fündig. Monods Standardwerk über die Majabat
al Koubra, durch die unsere Route führen soll, erweist sich als sehr
nützlich. Mit wissenschaftlicher Akribie sind darin die unterschiedlichen
Teillandschaften beschrieben. Der Hinweis eines Freundes bestärkt uns in der
Vermutung, daß es ein Durchkommen geben muß. In einem alten
Shell-Führer hatte er sogar Routenbeschreibungen gefunden! Aktuelle
Reiseführer haben wir diesmal nicht mitgenommen. Wozu auch? Die Reise wird
durch touristisches Niemandsland führen.
Dafür sind beide Teams optimal ausgerüstet und völlig autark.
Ein NAVSAT-Satellitennavigationsempfänger mit elektronischer Koppelautomatik
erleichtert die Orientierung. Detaillierte Karten über das Reisegebiet und
angrenzende Regionen komplettieren die Ausrüstung.
Sandsturm
Der Schock, den die erzwungene Umkehr bewirkte, ist längst vergessen. Mit
70 km/h brettern wir über die Tanesruft nach Süden. Der Verkehr ist stark.
Immer wieder werden wir von halbrecherisch dahindüsenden Peugeots und
einheimischen Landrovern überholt. Nach dem ersten Wasserreservoir, inzwischen
schon ein richtiger kleiner Ort mit Cafe und schattigen Alleen, biegen wir ab nach
Westen. Keine fünf Kilometer von der letzten Markierungslaterne befinden wir
uns auf jungfräulichem Boden. Es ist bereits spät, Zeit, das Lager
aufzuschlagen. Während wir die Etappe des kommenden Tages durchsprechen,
blinken schwach vom Horizont herüber die Laternen der Pistenmarkierung.
Nach einer klammen Nacht starten wir um acht Uhr. Trotz der ebenen Kiesoberfläche
kommen wir nicht gut voran. Immer wieder brechen unsere schweren Fahrzeuge durch
die harte Bodenkruste und landen ächzend in puderweichem Fech-Fech. Weitläufige
Steinfelder markieren beide Seiten des Wadi Djouf, dessen sandige Senke uns keinerlei
Probleme bereitet. Am nächsten Tag erreichen wir den markanten westlichen Sand
der Tanesruft. Ein stellenweise sanfter Abhang führt uns hundert Höhenmeter
hinab in jene Senke, die 'Bauch der Wüste' genannt wird. 200 km weiter westlich
liegt darin Taoudenni, Salzmine und verfluchter Ort am Ende der Welt. Die Fahrt wird
immer beschwerlicher. Felsriegel und Dünenfelder stellen sich uns in den Weg,
ein zunehmender Sandsturm erschwert die Orientierung. Die magnetische Deviation
in diesem Bereich der Sahara ist beträchtlich und darf nicht unberücksichtigt
bleiben. Nur sollte es dann nicht passieren, daß der Korrekturfaktor falsch
eingegeben wird. Wir begehen diesen unverzeihlichen Fehler und driften von der
geplanten Richtung immer mehr ab, bis wir schließlich in unangenehmen
Weichsandfeldern landen.
Inzwischen hat der Sandsturm eine Stärke erreicht, die es uns geraten erscheinen
läßt, bereits am Nachmittag einen Übernachtungsplatz zu suchen. In
der Hoffnung auf weniger Sand und Staub lagern wir auf halber Höhe eines
isolierten Bergmassivs. Doch der Himmel hat am heutigen Weihnachtsabend kein
Einsehen mit uns. Ein mumifizierter Raubvogel paßt gut zu dieser
Weltuntergangsstimmung. Das Toben des Windes läßt auch nachts nicht nach.
Erst spät am Vormittag des nächsten Tages können wir starten, der
Himmel ist klar. Doch im Norden kündigt sich schon wieder ein Sturm an. Weit
kommen wir nicht an diesem Tag. Die Sicht ist sehr beschränkt, das Gelände
nicht leicht. Auch der nächste Tag bringt keine Erleichterung. Mühsam
hoppeln wir über blaue Gipsplatten und Blockfelder. Als wir diskutieren, wie
wir diese lästigen Hindernisse am besten umgehen, meldet sich der
Satellitennavigationsempfänger mit der neuesten Standortbestimmung. 18 km sind
es nur mehr bis Taoudenni! Nun ist guter Rat teuer. Können wir es wagen,
diesem unheimlichen Ort einen Besuch abzustatten ohne Gefahr zu laufen, dort
festgehalten zu werden? Wir entscheiden uns, den Ort zu umgehen, nicht zuletzt in
der Hoffnung, auf der Rückreise Taoudenni von Timbuktu aus sicherer erreichen
zu können. Es dauert nicht mehr lange und wir treffen auf die Piste nach Terhazza.
Unübersehbar weisen Steinmänner den Weg. Bald verlieren sich die vereinzelten
Spuren älteren Datums wieder, und der Kompaß kommt zum Einsatz.
Unverhoffte Begegnung
Taoudenni liegt schon lange hinter uns, als wir gewahr werden, daß wir alleine
sind auf weiter Flur. Vom Patrol keine Spur. Wir warten. Nach zehn Minuten drehen
wir um und fahren zurück. Von Ferne sehen wir einen weißen Fleck. Beim
Näherkommen erkennen wir, wie sich unsere Freunde am geöffneten Motorraum
zu schaffen machen. Kein Öldruck! Abgesehen von beachtlichem Treibstoffverbrauch
hatte Dietmars gepflegter Wagen niemals Anlaß zur Klage gegeben. Nach einigem
Überlegen kommen wir zum Schluß, daß nur der Öldruckgeber
defekt sein dürfte. Der Motor wird wieder angelassen, die nächsten
Kilometer werden zeigen, ob diese Vermutung stimmt. Und es geht gut!
Mit neuem Mut rollen wir dahin, als uns unvermittelt ein grelles Blitzen aus den
Gedanken reißt. Da vorne fährt einer! Das Fernglas, immer griffbereit,
schafft Klarheit. Am Plateaurand steht ein grauer Toyota Pick-up, hoffentlich kein
Militärfahrzeug! Eigenartig, wie sich der Pick-up aufführt. Langsam
fährt er auf den Abgrund zu, dreht nach rechts, fährt rückwärts,
verschwindet, taucht woanders wieder auf. Wir setzen die Fahrt fort, erklimmen den
Plateaurand und... uns stockt der Atem: Keine 200 Meter vor uns ein Hubschrauber
inmitten weißer Mannschaftszelte. Vorräte liegen gestapelt herum, zwei
weitere Fahrzeuge, offensichtlich ein Militärcamp. Niemand läßt sich
blicken. Rückwärtsgang rein und in Deckung gegangen! Seit Tagen keinen
Menschen gesehen und nun dies. Sicher hat man uns längst entdeckt. Nach kurzer
Beratung beschließen wir, einfach am Lager vorbeizufahren, ohne Halt. Kaum
haben wir das Camp passiert, kommen auch schon Männer aus den Zelten
gestürzt. Ein verstohlener Blick nach rechts: Weiße! Also kein
Militär. In großem Bogen geht es zurück, den winkenden Menschen
entgegen. Auf Deutsch werden wir herzlich willkommen geheißen. Bald sitzen
wir in einem der mächtigen Zelte und trinken Kaffee.
Eine amerikanische Firma nimmt hier im nördlichen Mali im Auftrag des
französischen kartographischen Instituts IGN geophysikalische Messungen vor.
Um auch entlegene Winkel des Erg Chech vermessen zu können, müssen dort
zuvor Treibstoffdepots für den Hubschrauber angelegt werden. Das besorgen die
Pick-ups, die von verwegenen Burschen gesteuert werden. Als wir unser Ziel nennen,
werden sie etwas nachdenklich. Wir lassen uns aber nicht beeindrucken und unsere
Zuversicht steigert sich, als wir unsere Dieselvorräte um 120 Liter aufstocken
können. Für das unerwartete Geschenk revanchieren wir uns mit französischer
Salami, bayerischen Landjägern und Schokolade.
Als wir uns im IGN-Camp verabschiedeten, warnte man uns noch vor den Dünenbarrieren,
die den direkten Zugang nach Terhazza versperren. Jetzt stehen wir ratlos vor dem
ersten Dünenzug und suchen eine Passage. Kein Zweifel, wir liegen richtig. Die
Spuren der alten Piste führen geradewegs unter den Sandmassen durch. Nach
kurzer Suche haben wir eine machbar erscheinende Lücke im Dünenkamm
erspäht und gelangen nach einigen Einsandungen sicher auf die westliche Seite
der Barriere. Weitere Querungen folgen routinemäßig. 280 Grad und 2 km
Entfernung zeigt die Koppelautomatik bis zum Zielpunkt Terhazza an. Ein letzter,
mächtiger Dünenzug stellt sich uns in den Weg. Weit müssen wir nach
Süden ausholen, die angezeigte Entfernung nach Terhazza wächst und
wächst, der Richtungswinkel liegt bereits bei 350 Grad. Da sind die Spuren
wieder! Sie führen nach Norden. Wir folgen ihnen, in der Hoffnung, irgendwo im
staubigen Dunst Terhazza auftauchen zu sehen. Und tatsächlich: Nach atemberaubender
Abfahrt in ein ausgedehntes Becken und gespannter Fahrt von weiteren fünf
Minuten haben wir es geschafft.
Terhazza
Am Fuße der Tamariskenhügel schlagen wir das Lager auf. Nicht weit
entfernt, mitten zwischen halbverwehten, grünlichen Fundamentresten ehemaliger
Behausungen, der Vermessungspunkt. Morgen ist Rasttag! Zeit zur Erholung bleibt kaum.
Die Fahrzeuge werden durchgecheckt und für gut befunden. Gemeinsam stellen wir
eine genaue Routen- und Zeitplanung für die bevorstehenden Etappen auf. Es
besteht nunmehr kein Zweifel: wir verfügen über ausreichend Zeit und
Treibstoff, um Ouadane, Chinguetti und Nouackchott zu erreichen. Auch das Wetter
dürfte mitspielen. Der Sandwind ist im Nachlassen begriffen und wird uns nicht
mehr zu schaffen machen.
Erfolgreiche Suche brackiges Wasser in 130 cm Tiefe
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Einer von sechs Wehrtürmen aus Salztonziegeln
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Nach der Klärung dieser grundsätzlichen Fragen haben wir endlich
Muße, uns ein wenig um uns selbst zu kümmern. Ein Brunnen wird gegraben.
Nach 130 cm stoßen wir auf reichliches Wasser, trüb und salzig zwar, zum
Haarewaschen aber gut genug. Von der früheren Bedeutung Terhazzas als wichtigster
Saline in der westlichen Sahara ist kaum mehr etwas zu erahnen. Vierhundert Jahre
ist es her, daß marokkanische Truppen es in einer blutigen Schlacht dem
westafrikanischen Songhai-Reich entrissen hatten. Terhazzas Funktion wurde von
Taoudenni übernommen, das noch heute alljährlich 5000 Tonnen Salzplatten
produziert. Wir wandern über die Sebka und finden aus den vergangenen Tagen
nichts mehr vor außer sechs verfallenen Wachtürmen.
Im Bnaig
Die Schnauzen unserer Fahrzeuge zeigen nach Norden, als wir Terhazza mit Ziel
Agaraktem verlassen. Weit und offen wird die Sandwüste. Hin und wieder streifen
wir einen harmlosen Dünenzug. Allmählich müssen wir daran denken,
die Richtung zu wechseln. Ein passender Dünenkorridor nach Süd-West ist
schnell gefunden. Ihm folgen wir, bis die nächste Querung unvermeidlich wird.
Bis zum späten Nachmittag kommen wir recht zügig voran. Drei oder vier
große Dünen konnten wir bis dahin hinter uns lassen. Großzügig
verzichten wir auf den abseits gelegenen Brunnen von Agaraktem. Wasserreserven
haben wir im Überfluß und wer weiß, welch unangenehme
Überraschungen dort auf uns warten.
Der nächste Tag verspricht hart zu werden. Nach vier Stunden haben wir erst
18 km geschafft! Die Dünenquerungen erweisen sich als ziemlich problematisch.
Zwar könnten wir die östlichen Auffahrten rasch meistern, die dem Wind
abgewandten Seiten brechen aber steil ab. Undenkbar, hier ohne größere
Schäden an den Fahrzeugen durchzukommen. So bleibt uns nichts anderes
übrig, als viele Kilometer auf der Suche nach einigermaßen sicheren
Passagen zurückzulegen. Auf die IGN-Karten ist da nicht immer Verlaß.
Zu einfach haben sich die Kartographen ihre Arbeit manchmal gemacht! So führt
eine angeblich vorhandene Piste geradewegs über vier 100 Meter hohe Dünen
hinweg...
Abendstimmung in den Weiten des Bnaig
Endlich haben wir den letzten Dünenzug vor uns. 30 Kilometer sind es laut Karte
bis zu seiner Spitze im Süden. Da wir ihn nicht queren können, müssen
wir ihn umgehen. Nach 35 Kilometern ist immer noch kein Ende in Sicht. Wir werden
nervös. Doch ganz unerwartet gibt uns die Düne den Weg nach Westen frei.
Wir atmen auf, denn noch heute wollen wir den Hank erreichen, einen viele hundert
Kilometer langen Gebirgsrand aus dem Erdaltertum.
Am Abend wird gefeiert. Es ist Sylvester und die Einfuhr von Whisky nach Mauretanien
ist streng verboten. Kein Wunder, daß am nächsten Morgen ein regelrechtes
Kater-Frühstück fällig wird. Eine phantastische Dünenlandschaft
hilft, unsere körperlichen Qualen zu verdrängen. Immer noch geht es in
Richtung Süd-West, da kann nicht viel schiefgehen. Denken wir - bis Umrisse
einer gewaltigen Sandmasse deutlicher werden und uns einen gehörigen Schreck
einjagen. Alte Autospuren laufen geradewegs auf dieses uns zu verschlingen drohende
Sandmassiv zu. Der Satellitenfix bestätigt: wir müssen da durch.
Vorsorglich lassen wir ein weiteres Mal Luft aus den Sandreifen ab, der Kurs wird
gesetzt und mit gemischten Gefühlen geht es los. Wie von unsichtbarer Hand
gehoben gleiten wir sanft auf dieses weiße Dünengebirge. Spuren sind
keine mehr zu sehen. Wir sind wieder ganz auf uns gestellt.
Jetzt erkennen wir wo wir sind. Die Karten sind widersprüchlich. 'Makteir' wird
diese Gegend auf der einen Karte bezeichnet, 'Bnaig' heißt sie auf anderen.
Wir sind wohl gerade im Übergangsbereich der beiden Großräume. Die
Fahrt durch diese phantastische Landschaft ist der unerwartete Höhepunkt dieser
Reise!
Minen um Ouadane
Je mehr wir uns Ouadane nähern, umso unangenehmer wird die Fahrerei.
Die Dünenzüge des Bnaigs haben wir hinter uns gelassen, vor uns liegen
immer dichter werdende mannshohe Grasbüschel, Steinblöcke und versteckte
Löcher. Die Landschaft wird immer welliger, was eine beständige Berg- und
Talfahrt auf alten, verfestigten Dünen zur Folge hat. Nach zermürbender
Kurbelei erreichen wir endlich eine Ebene, die aber in ein böses Blockfeld
ausartet. Hier ist kein Durchkommen. Sind wir etwa schon im Einzugsbereich des
Kraterbergs Guelb el Richats? Eine Standortbestimmung per Satellit bestätigt
diese Vermutung.
20 Kilometer weiter im Norden liegt El Ghallawiya. Somit kann der Brunnen von Sbil
nicht weit sein. Und tatsächlich treffen wir auch bald auf eine kleine
Kamelherde, begleitet von drei ärmlichen Hirten. Kurz vor Ouadane gehen uns
einige Geschichten durch den Kopf, die uns schon zu Hause zu denken gegeben hatten.
Minenfelder sollen Ouadane umgeben. Wo aber hätten wir diese zu suchen? Wir
wissen es nicht. Mit geschärften Sinnen nähern wir uns vorsichtig Ouadane.
Schon von Ferne sind einige der Kastenhäuser am steinigen südlichen Rand
des Richat-Kraterwalls zu erkennen. Genußvoll betrachten wir das frische
Grün der Palmen und Akazien, die sich unten im Tal vor uns ausbreiten. Noch
sind wir nicht im Dorf! Eine letzte Hürde in Form eines sandigen Wadis macht
uns zu schaffen. Es dauert aber nicht lange und wir sitzen als Gäste beim
Bürgermeister des Ortes und schlürfen maurischen Tee.
Vor uns der Ostrand des 'Kraters' Guelb el Richat
Kinderplage in Chinguetti
Wir Touristen sind die Sensation von Ouadane. Das ganze Dorf ist zusammengelaufen,
um das Ereignis mitzuerleben. Nur die Vornehmsten und Würdigsten dürfen
an der Tee-Zeremonie im traditionellen Stil teilnehmen. Man kann es kaum fassen,
daß wir aus Terhazza kommen. Ob wir Weiden, Kamele oder Menschen unterwegs
getroffen hätten, will man wissen. Uns interessiert hingegen, wo die Minen
liegen. Bereitwillig erhalten wir Auskunft. Total geschockt sind wir als wir erkennen
müssen, dass wir bei der Herfahrt den östlich Ouadanes zum Schutz gegen
Attacken der Polisario angelegten Minengürtel unbemerkt gequert haben...
Es trifft sich gut: ein Einheimischer möchte in Richtung Chinguetti mitgenommen
werden. Er wird uns den Weg durch die Minenfelder weisen. Nach herzlichem Abschied
machen wir uns wieder auf den Weg und schlagen die sog. südliche Piste ein.
Das Wadi Ouadane haben wir diesmal ohne Probleme gequert, als sich vor uns ein
weiteres Hindernis aufbaut. Ein gewaltiger Dünenberg, der uns viel
Schweiß kosten wird. Erst nach mehreren vergeblichen Anläufen gelingt es
unter Einsatz aller Tricks, diese tückische Passage zu überwinden. Endlich
oben angekommen beschwört uns unser maurischer Gast, unbedingt einer Linie von
Steinmarkierungen zu folgen. Nur so kämen wir heil durch die Minen. Das ist
leichter gesagt als getan. Viele tiefe Spurrillen parellel zur Markierungslinie
müssen vermieden werden. Der Sand im weiten Umkreis ist aber puderweich. Im
dritten Gang des Reduziergetriebes jagen wir bergauf, bergab, um ja nicht stecken
zu bleiben. Die Motoröltemperatur klettert auf beunruhigende 120 Grad. Nach
vierzig Kilometern verläßt uns der alte Maure mit großen Aufatmen.
Chinguetti kündigt sich durch kleine Palmenhaine an, die verborgen in weißen
Dünenbergen vor sich hinträumen. Auch der Ort selbst liegt inmitten
eines wahren Sandmeeres. Durch enge Gassen gelangen wir zum Regierungsrasthaus,
einem eindrucksvollen Fort aus der Kolonialzeit. Kaum haben wir die Autos verlassen,
sind wir auch schon von einer Schar agressiver Kinder umzingelt. In der (falschen)
Hoffnung, die Kinderbrut wenigstens kurzzeitig los zu werden, flüchten wir auf
den obligaten kulturellen Rundkurs durch das alte Chinguetti, das im achten
Jahrhundert eines der bedeutsamsten geistigen Zentren des Islam war.
Zu Gast im historischen Fort von Chinguetti
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Kunstvoller Verputz der Gebäude mit den ehemaligen Unterkünften
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Das Abendessen muß heute ausfallen, die unbändige Neugier der Kinder
gestattet keine großen Aktionen. Nur von kurzem Erfolg gekrönt ist der
Versuch des Rasthaus-Wächters, die Kinder auf Distanz zu halten. So können
wir uns der wohlverdienten Ruhe erst spät nach Einbruch der Dunkelheit erfreuen.
Der heutige Tag muß die Entscheidung bringen. Werden wir den Einreisestempel
erhalten, werden wir wegen illegalem Grenzübertritt verhaftet oder nur nach
Algerien zurückgeschickt? Früh am Morgen empfängt uns der
Unterpräfekt in seinen Privatgemächern. Er lädt uns ein, sein
Frühstück mit ihm zu teilen. Er ist ein junger gebildeter Mann mit feinen
Manieren. Haarklein läßt er sich die Tour schildern und zeigt sich sehr
beeindruckt von unserem vermeintlichen Wagemut. Wie selbstverständlich
unterbricht er sein Frühstück, um sich Stempel und Kugelschreiber reichen
zu lassen. Es hat also geklappt, die Reise kann weitergehen!
Ungastliche Berge des Adrar
Morgenstimmung am Rande des Tagant
Das Donnern der Brandung
Noukchott, die junge Hauptstadt Mauretaniens ist unser nächstes Ziel. Das
heißt: zunächst Wellblechpiste bis Atar, dann breite Lateritpiste bis Akjoujt
und zuletzt stark versandete, schlaglochübersäte Asphaltstraße bis
Nouakchott. Der Sandsturm macht sich hier wieder bemerkbar. Man spürt die
Nähe des Atlantiks. Da wir unterwegs nur geschlossene Tankstellen sehen, gilt
unsere größte Sorge momentan dem Dieselvorrat. Werden wir in Nouakchott
genügend tanken können, um bis nach Gao gelangen zu können? Kein
Grund zur Aufregung. Überall in Nouakchott ist Diesel reichlich und zu
Preisen wie zu Hause erhältlich.
Nach lukullischem Mittagsmahl im neuen Novotel zieht es uns wieder in die Dünen.
Diesmal aber geht es Richtung Strand. Nach soviel Staub und Sand genießen
wir die feuchte Meeresbrise. Die Dunkelheit bricht herein, wir finden aber keinen
Schlaf. Zu ungewohnt ist das Donnern der Brandung. So klettere ich also aus dem
Wagen und wandere lange über die Dünen. Ein herrliches Gefühl der
Zufriedenheit ergreift mich. Zwei unvergeßliche Wochen haben wir seit Reggane
erlebt. Die Aussichten, wieder rechtzeitig zu Hause zu sein, sind gut.
Krönender Abschluss einer 2100 km langen Wüstenstrecke: das Donnern der Brandung!
Reiseberichte
Reiseliste Sahara
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