Durchs 'Leere Viertel' Mauretaniens

Von Reggane nach Ouadane

© Reinhart Mazur, 1986-2008


Heute ist der achte Reisetag und es deutet alles darauf hin, daß das Ende unserer Tour kurz bevorsteht. Wir liegen im nördlichen Teil des Erg Chech fest. Eigentlich hatten wir vor, die mauretanischen Oasen Ouadane und Chinguetti über Chenachen, Chegga und El Mreiti zu erreichen. Doch nun ist Schluß, kaum 250 km hinter Adrar. Haushohe, puderweiche Dünen versperren den Weg durch eines der wenigen Gassis, das uns an Hassi Bou Bernous vorbei nach Süden führen sollte.


im Erg Chech
im Erg Chech: leichte Querung eines weichen Dünenkamms


Ein Jahr zuvor hatten wir die Gegend nordwestlich Adrars erkundet. Damals stießen wir zu unserer Überaschung auf eine neu angelegte Wellblechpiste, die ganz offensichtlich in die gewünschte Richtung führte, aber von schweren Militärlastwagen frequentiert wurde. Das Risiko, von einer Patrouille angehalten und zurückgeschickt zu werden, wollen wir jetzt nicht eingehen.

So quälen wir uns nun mühsam durch unangenehmes Gelände. Es dauert nicht allzu lange und wir finden uns auf der Piste wieder. Die Lkw-Lenker grüßten freundlich, fast so, als hätten sie hier noch nie einen Touristen gesehen. Und tatsächlich: ein kleiner Plausch mit einem Sonacom-Reparaturtrupp am Wegesrand bringt Neuigkeiten. Wir befinden uns inmitten eines Sperrgebietes, in dem wir natürlich nichts verloren haben. Es dämmert uns: Das große Lager, das wir tags zuvor von weitem gesehen und wohlweislich umgangen hatten, war ein Militärcamp. Freundlich, mit einem leichten Anflug von Entsetzen, werden wir jetzt auf diese Tatsache aufmerksam gemacht. Genauso freundlich verabschieden wir uns, nicht ohne den Eindruck zu hinterlassen, auf dem schnellsten Weg dieses verbotene Gebiet verlassen zu wollen. In Wirklichkeit nutzen wir die erstbeste Gelegenheit, uns ungesehen zum Dünenrand durchzuschlagen, um unter Ausnutzung der Geländeunebenheiten weiter nach Westen vorzudringen. Klar, was uns erwarten würde, wenn wir Pech hätten: Verhaftung, zumindest aber einige Tage Zwangsaufenthalt. Auf jeden Fall wäre die Tour geplatzt.



Frühe Umkehr

So sitzen wir nun also mit unserem Begleitteam im Kreise und beratschlagen. Auf den Detailkarten finden wir nur drei Passagen, um uns an kritischen Punkten vorbeizuschwindeln. Aber schon die erste hat sich als kaum bezwingbar erwiesen. Die eine oder andere weiche Düne könnten unsere schwerbeladenen Fahrzeuge vielleicht gerade noch bezwingen. Ein Blick auf die windabgewandte Seite des Dünenzugs läßt die Idee der Traversierung aber als allzu verwegen erscheinen. Der Gedanke, hier im Notfall wieder hinauffahren zu müssen, bereitet uns Kopfzerbrechen. Nur eine einzige Barriere weiter hinten im Gassi und wir wären gefangen! Einstimmig beschließen wir, umzukehren und einen weniger riskanten Weg nach Ouadane zu suchen. Schließlich haben wir nur sechs Wochen Zeit. Zum Trost für die herbe Enttäuschung entfachen wir ein Lagerfeuer; es sollte das einzige auf unserer Tour bleiben.



Vorbereitungen

Tausende von Autospuren durchziehen das Land des Durstes, wie die Tanesruft treffend genannt wird. Was aber verbirgt sich jenseits des flachen Horizonts drüben im Westen? Die Michelinkarte zeigt da nur gelbe Flecken, diese aber in beeindruckender Ausdehnung. Pisten fehlen völlig, sehen wir von den wenigen dünnen Linien ab, die lediglich ein Durchkommen signalisieren. Diese Gegend interessiert uns. Wir versuchen, mehr über sie in Erfahrung zu bringen, müssen aber bald feststellen, daß brauchbare Informationen kaum vorhanden sind. Erst in der Münchner Staatsbibliothek werden wir fündig. Monods Standardwerk über die Majabat al Koubra, durch die unsere Route führen soll, erweist sich als sehr nützlich. Mit wissenschaftlicher Akribie sind darin die unterschiedlichen Teillandschaften beschrieben. Der Hinweis eines Freundes bestärkt uns in der Vermutung, daß es ein Durchkommen geben muß. In einem alten Shell-Führer hatte er sogar Routenbeschreibungen gefunden! Aktuelle Reiseführer haben wir diesmal nicht mitgenommen. Wozu auch? Die Reise wird durch touristisches Niemandsland führen.

Dafür sind beide Teams optimal ausgerüstet und völlig autark. Ein NAVSAT-Satellitennavigationsempfänger mit elektronischer Koppelautomatik erleichtert die Orientierung. Detaillierte Karten über das Reisegebiet und angrenzende Regionen komplettieren die Ausrüstung.



Sandsturm

Der Schock, den die erzwungene Umkehr bewirkte, ist längst vergessen. Mit 70 km/h brettern wir über die Tanesruft nach Süden. Der Verkehr ist stark. Immer wieder werden wir von halbrecherisch dahindüsenden Peugeots und einheimischen Landrovern überholt. Nach dem ersten Wasserreservoir, inzwischen schon ein richtiger kleiner Ort mit Cafe und schattigen Alleen, biegen wir ab nach Westen. Keine fünf Kilometer von der letzten Markierungslaterne befinden wir uns auf jungfräulichem Boden. Es ist bereits spät, Zeit, das Lager aufzuschlagen. Während wir die Etappe des kommenden Tages durchsprechen, blinken schwach vom Horizont herüber die Laternen der Pistenmarkierung.

Nach einer klammen Nacht starten wir um acht Uhr. Trotz der ebenen Kiesoberfläche kommen wir nicht gut voran. Immer wieder brechen unsere schweren Fahrzeuge durch die harte Bodenkruste und landen ächzend in puderweichem Fech-Fech. Weitläufige Steinfelder markieren beide Seiten des Wadi Djouf, dessen sandige Senke uns keinerlei Probleme bereitet. Am nächsten Tag erreichen wir den markanten westlichen Sand der Tanesruft. Ein stellenweise sanfter Abhang führt uns hundert Höhenmeter hinab in jene Senke, die 'Bauch der Wüste' genannt wird. 200 km weiter westlich liegt darin Taoudenni, Salzmine und verfluchter Ort am Ende der Welt. Die Fahrt wird immer beschwerlicher. Felsriegel und Dünenfelder stellen sich uns in den Weg, ein zunehmender Sandsturm erschwert die Orientierung. Die magnetische Deviation in diesem Bereich der Sahara ist beträchtlich und darf nicht unberücksichtigt bleiben. Nur sollte es dann nicht passieren, daß der Korrekturfaktor falsch eingegeben wird. Wir begehen diesen unverzeihlichen Fehler und driften von der geplanten Richtung immer mehr ab, bis wir schließlich in unangenehmen Weichsandfeldern landen.

Inzwischen hat der Sandsturm eine Stärke erreicht, die es uns geraten erscheinen läßt, bereits am Nachmittag einen Übernachtungsplatz zu suchen. In der Hoffnung auf weniger Sand und Staub lagern wir auf halber Höhe eines isolierten Bergmassivs. Doch der Himmel hat am heutigen Weihnachtsabend kein Einsehen mit uns. Ein mumifizierter Raubvogel paßt gut zu dieser Weltuntergangsstimmung. Das Toben des Windes läßt auch nachts nicht nach.

Erst spät am Vormittag des nächsten Tages können wir starten, der Himmel ist klar. Doch im Norden kündigt sich schon wieder ein Sturm an. Weit kommen wir nicht an diesem Tag. Die Sicht ist sehr beschränkt, das Gelände nicht leicht. Auch der nächste Tag bringt keine Erleichterung. Mühsam hoppeln wir über blaue Gipsplatten und Blockfelder. Als wir diskutieren, wie wir diese lästigen Hindernisse am besten umgehen, meldet sich der Satellitennavigationsempfänger mit der neuesten Standortbestimmung. 18 km sind es nur mehr bis Taoudenni! Nun ist guter Rat teuer. Können wir es wagen, diesem unheimlichen Ort einen Besuch abzustatten ohne Gefahr zu laufen, dort festgehalten zu werden? Wir entscheiden uns, den Ort zu umgehen, nicht zuletzt in der Hoffnung, auf der Rückreise Taoudenni von Timbuktu aus sicherer erreichen zu können. Es dauert nicht mehr lange und wir treffen auf die Piste nach Terhazza. Unübersehbar weisen Steinmänner den Weg. Bald verlieren sich die vereinzelten Spuren älteren Datums wieder, und der Kompaß kommt zum Einsatz.



Unverhoffte Begegnung

Taoudenni liegt schon lange hinter uns, als wir gewahr werden, daß wir alleine sind auf weiter Flur. Vom Patrol keine Spur. Wir warten. Nach zehn Minuten drehen wir um und fahren zurück. Von Ferne sehen wir einen weißen Fleck. Beim Näherkommen erkennen wir, wie sich unsere Freunde am geöffneten Motorraum zu schaffen machen. Kein Öldruck! Abgesehen von beachtlichem Treibstoffverbrauch hatte Dietmars gepflegter Wagen niemals Anlaß zur Klage gegeben. Nach einigem Überlegen kommen wir zum Schluß, daß nur der Öldruckgeber defekt sein dürfte. Der Motor wird wieder angelassen, die nächsten Kilometer werden zeigen, ob diese Vermutung stimmt. Und es geht gut!

Mit neuem Mut rollen wir dahin, als uns unvermittelt ein grelles Blitzen aus den Gedanken reißt. Da vorne fährt einer! Das Fernglas, immer griffbereit, schafft Klarheit. Am Plateaurand steht ein grauer Toyota Pick-up, hoffentlich kein Militärfahrzeug! Eigenartig, wie sich der Pick-up aufführt. Langsam fährt er auf den Abgrund zu, dreht nach rechts, fährt rückwärts, verschwindet, taucht woanders wieder auf. Wir setzen die Fahrt fort, erklimmen den Plateaurand und... uns stockt der Atem: Keine 200 Meter vor uns ein Hubschrauber inmitten weißer Mannschaftszelte. Vorräte liegen gestapelt herum, zwei weitere Fahrzeuge, offensichtlich ein Militärcamp. Niemand läßt sich blicken. Rückwärtsgang rein und in Deckung gegangen! Seit Tagen keinen Menschen gesehen und nun dies. Sicher hat man uns längst entdeckt. Nach kurzer Beratung beschließen wir, einfach am Lager vorbeizufahren, ohne Halt. Kaum haben wir das Camp passiert, kommen auch schon Männer aus den Zelten gestürzt. Ein verstohlener Blick nach rechts: Weiße! Also kein Militär. In großem Bogen geht es zurück, den winkenden Menschen entgegen. Auf Deutsch werden wir herzlich willkommen geheißen. Bald sitzen wir in einem der mächtigen Zelte und trinken Kaffee.

Eine amerikanische Firma nimmt hier im nördlichen Mali im Auftrag des französischen kartographischen Instituts IGN geophysikalische Messungen vor. Um auch entlegene Winkel des Erg Chech vermessen zu können, müssen dort zuvor Treibstoffdepots für den Hubschrauber angelegt werden. Das besorgen die Pick-ups, die von verwegenen Burschen gesteuert werden. Als wir unser Ziel nennen, werden sie etwas nachdenklich. Wir lassen uns aber nicht beeindrucken und unsere Zuversicht steigert sich, als wir unsere Dieselvorräte um 120 Liter aufstocken können. Für das unerwartete Geschenk revanchieren wir uns mit französischer Salami, bayerischen Landjägern und Schokolade.

Als wir uns im IGN-Camp verabschiedeten, warnte man uns noch vor den Dünenbarrieren, die den direkten Zugang nach Terhazza versperren. Jetzt stehen wir ratlos vor dem ersten Dünenzug und suchen eine Passage. Kein Zweifel, wir liegen richtig. Die Spuren der alten Piste führen geradewegs unter den Sandmassen durch. Nach kurzer Suche haben wir eine machbar erscheinende Lücke im Dünenkamm erspäht und gelangen nach einigen Einsandungen sicher auf die westliche Seite der Barriere. Weitere Querungen folgen routinemäßig. 280 Grad und 2 km Entfernung zeigt die Koppelautomatik bis zum Zielpunkt Terhazza an. Ein letzter, mächtiger Dünenzug stellt sich uns in den Weg. Weit müssen wir nach Süden ausholen, die angezeigte Entfernung nach Terhazza wächst und wächst, der Richtungswinkel liegt bereits bei 350 Grad. Da sind die Spuren wieder! Sie führen nach Norden. Wir folgen ihnen, in der Hoffnung, irgendwo im staubigen Dunst Terhazza auftauchen zu sehen. Und tatsächlich: Nach atemberaubender Abfahrt in ein ausgedehntes Becken und gespannter Fahrt von weiteren fünf Minuten haben wir es geschafft.



Terhazza

Am Fuße der Tamariskenhügel schlagen wir das Lager auf. Nicht weit entfernt, mitten zwischen halbverwehten, grünlichen Fundamentresten ehemaliger Behausungen, der Vermessungspunkt. Morgen ist Rasttag! Zeit zur Erholung bleibt kaum. Die Fahrzeuge werden durchgecheckt und für gut befunden. Gemeinsam stellen wir eine genaue Routen- und Zeitplanung für die bevorstehenden Etappen auf. Es besteht nunmehr kein Zweifel: wir verfügen über ausreichend Zeit und Treibstoff, um Ouadane, Chinguetti und Nouackchott zu erreichen. Auch das Wetter dürfte mitspielen. Der Sandwind ist im Nachlassen begriffen und wird uns nicht mehr zu schaffen machen.


Wasser in Terhazza!
Erfolgreiche Suche brackiges Wasser in 130 cm Tiefe
   Terhazza: Wehrturmrest aus Salztonziegeln
Einer von sechs Wehrtürmen aus Salztonziegeln

Nach der Klärung dieser grundsätzlichen Fragen haben wir endlich Muße, uns ein wenig um uns selbst zu kümmern. Ein Brunnen wird gegraben. Nach 130 cm stoßen wir auf reichliches Wasser, trüb und salzig zwar, zum Haarewaschen aber gut genug. Von der früheren Bedeutung Terhazzas als wichtigster Saline in der westlichen Sahara ist kaum mehr etwas zu erahnen. Vierhundert Jahre ist es her, daß marokkanische Truppen es in einer blutigen Schlacht dem westafrikanischen Songhai-Reich entrissen hatten. Terhazzas Funktion wurde von Taoudenni übernommen, das noch heute alljährlich 5000 Tonnen Salzplatten produziert. Wir wandern über die Sebka und finden aus den vergangenen Tagen nichts mehr vor außer sechs verfallenen Wachtürmen.



Im Bnaig

Die Schnauzen unserer Fahrzeuge zeigen nach Norden, als wir Terhazza mit Ziel Agaraktem verlassen. Weit und offen wird die Sandwüste. Hin und wieder streifen wir einen harmlosen Dünenzug. Allmählich müssen wir daran denken, die Richtung zu wechseln. Ein passender Dünenkorridor nach Süd-West ist schnell gefunden. Ihm folgen wir, bis die nächste Querung unvermeidlich wird. Bis zum späten Nachmittag kommen wir recht zügig voran. Drei oder vier große Dünen konnten wir bis dahin hinter uns lassen. Großzügig verzichten wir auf den abseits gelegenen Brunnen von Agaraktem. Wasserreserven haben wir im Überfluß und wer weiß, welch unangenehme Überraschungen dort auf uns warten.

Der nächste Tag verspricht hart zu werden. Nach vier Stunden haben wir erst 18 km geschafft! Die Dünenquerungen erweisen sich als ziemlich problematisch. Zwar könnten wir die östlichen Auffahrten rasch meistern, die dem Wind abgewandten Seiten brechen aber steil ab. Undenkbar, hier ohne größere Schäden an den Fahrzeugen durchzukommen. So bleibt uns nichts anderes übrig, als viele Kilometer auf der Suche nach einigermaßen sicheren Passagen zurückzulegen. Auf die IGN-Karten ist da nicht immer Verlaß. Zu einfach haben sich die Kartographen ihre Arbeit manchmal gemacht! So führt eine angeblich vorhandene Piste geradewegs über vier 100 Meter hohe Dünen hinweg...


Bnaig, Leeres Viertel,Mauretanien
Abendstimmung in den Weiten des Bnaig


Endlich haben wir den letzten Dünenzug vor uns. 30 Kilometer sind es laut Karte bis zu seiner Spitze im Süden. Da wir ihn nicht queren können, müssen wir ihn umgehen. Nach 35 Kilometern ist immer noch kein Ende in Sicht. Wir werden nervös. Doch ganz unerwartet gibt uns die Düne den Weg nach Westen frei. Wir atmen auf, denn noch heute wollen wir den Hank erreichen, einen viele hundert Kilometer langen Gebirgsrand aus dem Erdaltertum.

Am Abend wird gefeiert. Es ist Sylvester und die Einfuhr von Whisky nach Mauretanien ist streng verboten. Kein Wunder, daß am nächsten Morgen ein regelrechtes Kater-Frühstück fällig wird. Eine phantastische Dünenlandschaft hilft, unsere körperlichen Qualen zu verdrängen. Immer noch geht es in Richtung Süd-West, da kann nicht viel schiefgehen. Denken wir - bis Umrisse einer gewaltigen Sandmasse deutlicher werden und uns einen gehörigen Schreck einjagen. Alte Autospuren laufen geradewegs auf dieses uns zu verschlingen drohende Sandmassiv zu. Der Satellitenfix bestätigt: wir müssen da durch. Vorsorglich lassen wir ein weiteres Mal Luft aus den Sandreifen ab, der Kurs wird gesetzt und mit gemischten Gefühlen geht es los. Wie von unsichtbarer Hand gehoben gleiten wir sanft auf dieses weiße Dünengebirge. Spuren sind keine mehr zu sehen. Wir sind wieder ganz auf uns gestellt.

Jetzt erkennen wir wo wir sind. Die Karten sind widersprüchlich. 'Makteir' wird diese Gegend auf der einen Karte bezeichnet, 'Bnaig' heißt sie auf anderen. Wir sind wohl gerade im Übergangsbereich der beiden Großräume. Die Fahrt durch diese phantastische Landschaft ist der unerwartete Höhepunkt dieser Reise!



Minen um Ouadane

Je mehr wir uns Ouadane nähern, umso unangenehmer wird die Fahrerei. Die Dünenzüge des Bnaigs haben wir hinter uns gelassen, vor uns liegen immer dichter werdende mannshohe Grasbüschel, Steinblöcke und versteckte Löcher. Die Landschaft wird immer welliger, was eine beständige Berg- und Talfahrt auf alten, verfestigten Dünen zur Folge hat. Nach zermürbender Kurbelei erreichen wir endlich eine Ebene, die aber in ein böses Blockfeld ausartet. Hier ist kein Durchkommen. Sind wir etwa schon im Einzugsbereich des Kraterbergs Guelb el Richats? Eine Standortbestimmung per Satellit bestätigt diese Vermutung.

20 Kilometer weiter im Norden liegt El Ghallawiya. Somit kann der Brunnen von Sbil nicht weit sein. Und tatsächlich treffen wir auch bald auf eine kleine Kamelherde, begleitet von drei ärmlichen Hirten. Kurz vor Ouadane gehen uns einige Geschichten durch den Kopf, die uns schon zu Hause zu denken gegeben hatten. Minenfelder sollen Ouadane umgeben. Wo aber hätten wir diese zu suchen? Wir wissen es nicht. Mit geschärften Sinnen nähern wir uns vorsichtig Ouadane. Schon von Ferne sind einige der Kastenhäuser am steinigen südlichen Rand des Richat-Kraterwalls zu erkennen. Genußvoll betrachten wir das frische Grün der Palmen und Akazien, die sich unten im Tal vor uns ausbreiten. Noch sind wir nicht im Dorf! Eine letzte Hürde in Form eines sandigen Wadis macht uns zu schaffen. Es dauert aber nicht lange und wir sitzen als Gäste beim Bürgermeister des Ortes und schlürfen maurischen Tee.


Ostrand des Guelb el Richat
Vor uns der Ostrand des 'Kraters' Guelb el Richat



Kinderplage in Chinguetti

Wir Touristen sind die Sensation von Ouadane. Das ganze Dorf ist zusammengelaufen, um das Ereignis mitzuerleben. Nur die Vornehmsten und Würdigsten dürfen an der Tee-Zeremonie im traditionellen Stil teilnehmen. Man kann es kaum fassen, daß wir aus Terhazza kommen. Ob wir Weiden, Kamele oder Menschen unterwegs getroffen hätten, will man wissen. Uns interessiert hingegen, wo die Minen liegen. Bereitwillig erhalten wir Auskunft. Total geschockt sind wir als wir erkennen müssen, dass wir bei der Herfahrt den östlich Ouadanes zum Schutz gegen Attacken der Polisario angelegten Minengürtel unbemerkt gequert haben...

Es trifft sich gut: ein Einheimischer möchte in Richtung Chinguetti mitgenommen werden. Er wird uns den Weg durch die Minenfelder weisen. Nach herzlichem Abschied machen wir uns wieder auf den Weg und schlagen die sog. südliche Piste ein. Das Wadi Ouadane haben wir diesmal ohne Probleme gequert, als sich vor uns ein weiteres Hindernis aufbaut. Ein gewaltiger Dünenberg, der uns viel Schweiß kosten wird. Erst nach mehreren vergeblichen Anläufen gelingt es unter Einsatz aller Tricks, diese tückische Passage zu überwinden. Endlich oben angekommen beschwört uns unser maurischer Gast, unbedingt einer Linie von Steinmarkierungen zu folgen. Nur so kämen wir heil durch die Minen. Das ist leichter gesagt als getan. Viele tiefe Spurrillen parellel zur Markierungslinie müssen vermieden werden. Der Sand im weiten Umkreis ist aber puderweich. Im dritten Gang des Reduziergetriebes jagen wir bergauf, bergab, um ja nicht stecken zu bleiben. Die Motoröltemperatur klettert auf beunruhigende 120 Grad. Nach vierzig Kilometern verläßt uns der alte Maure mit großen Aufatmen.

Chinguetti kündigt sich durch kleine Palmenhaine an, die verborgen in weißen Dünenbergen vor sich hinträumen. Auch der Ort selbst liegt inmitten eines wahren Sandmeeres. Durch enge Gassen gelangen wir zum Regierungsrasthaus, einem eindrucksvollen Fort aus der Kolonialzeit. Kaum haben wir die Autos verlassen, sind wir auch schon von einer Schar agressiver Kinder umzingelt. In der (falschen) Hoffnung, die Kinderbrut wenigstens kurzzeitig los zu werden, flüchten wir auf den obligaten kulturellen Rundkurs durch das alte Chinguetti, das im achten Jahrhundert eines der bedeutsamsten geistigen Zentren des Islam war.


Fort von Chinguetti
Zu Gast im historischen Fort von Chinguetti
   Chinguetti: Detail
Kunstvoller Verputz der Gebäude mit den
 ehemaligen Unterkünften


Das Abendessen muß heute ausfallen, die unbändige Neugier der Kinder gestattet keine großen Aktionen. Nur von kurzem Erfolg gekrönt ist der Versuch des Rasthaus-Wächters, die Kinder auf Distanz zu halten. So können wir uns der wohlverdienten Ruhe erst spät nach Einbruch der Dunkelheit erfreuen.

Der heutige Tag muß die Entscheidung bringen. Werden wir den Einreisestempel erhalten, werden wir wegen illegalem Grenzübertritt verhaftet oder nur nach Algerien zurückgeschickt? Früh am Morgen empfängt uns der Unterpräfekt in seinen Privatgemächern. Er lädt uns ein, sein Frühstück mit ihm zu teilen. Er ist ein junger gebildeter Mann mit feinen Manieren. Haarklein läßt er sich die Tour schildern und zeigt sich sehr beeindruckt von unserem vermeintlichen Wagemut. Wie selbstverständlich unterbricht er sein Frühstück, um sich Stempel und Kugelschreiber reichen zu lassen. Es hat also geklappt, die Reise kann weitergehen!


im Adrar, Mauretanien
Ungastliche Berge des Adrar


Tagant Mountains, Mauretanien
Morgenstimmung am Rande des Tagant



Das Donnern der Brandung

Noukchott, die junge Hauptstadt Mauretaniens ist unser nächstes Ziel. Das heißt: zunächst Wellblechpiste bis Atar, dann breite Lateritpiste bis Akjoujt und zuletzt stark versandete, schlaglochübersäte Asphaltstraße bis Nouakchott. Der Sandsturm macht sich hier wieder bemerkbar. Man spürt die Nähe des Atlantiks. Da wir unterwegs nur geschlossene Tankstellen sehen, gilt unsere größte Sorge momentan dem Dieselvorrat. Werden wir in Nouakchott genügend tanken können, um bis nach Gao gelangen zu können? Kein Grund zur Aufregung. Überall in Nouakchott ist Diesel reichlich und zu Preisen wie zu Hause erhältlich.

Nach lukullischem Mittagsmahl im neuen Novotel zieht es uns wieder in die Dünen. Diesmal aber geht es Richtung Strand. Nach soviel Staub und Sand genießen wir die feuchte Meeresbrise. Die Dunkelheit bricht herein, wir finden aber keinen Schlaf. Zu ungewohnt ist das Donnern der Brandung. So klettere ich also aus dem Wagen und wandere lange über die Dünen. Ein herrliches Gefühl der Zufriedenheit ergreift mich. Zwei unvergeßliche Wochen haben wir seit Reggane erlebt. Die Aussichten, wieder rechtzeitig zu Hause zu sein, sind gut.

Atlantikstrand bei Nouakchott
Krönender Abschluss einer 2100 km langen Wüstenstrecke:
das Donnern der Brandung!




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