Im Darfur


Vom Malha-Krater zu den Marra-Bergen

© Reinhart Mazur, 2003-2008


Nach einigen unerträglichen Tagen auf der desolaten Espresso Egitto laufen wir endlich im Hafen von Alexandria ein. Nur 30 Minuten dauert die gut organisierte Abfertigung an Bord. Mit viel Glück sind wir die ersten, die wieder festen Boden unter den Füßen haben. Wir sind heilfroh, auch diese Schiffspassage überlebt zu haben. Es gibt nichts Schlimmeres für eingefleischte Sahara-Fahrer als eine Überfahrt, noch dazu bei rauher See.



Wieder in der Wüste

Genau vier Wochen bleiben uns, um zur Rückfahrt hier wieder zu erscheinen. Dann wird der Fährbetrieb eingestellt. Das heißt also, wir müssen powern, um über die Runden zu kommen. Die ägyptischen Nummerntafeln werden montiert, mit billigem Diesel alles vollgetankt und schon starten wir Richtung Süd. Schnell haben wir über die Wüstenautobahn Gizeh erreicht. Beim Polizeiposten gegenüber dem Mena House Hotel holen wir uns wie immer den Stempel der Immigration. Unser erster Lagerplatz in der Wüste ist rasch bestimmt. Wir fühlen uns sauwohl, so als wären wir nie von der Wüste weg gewesen!

Am Morgen setzt Sturm ein. Bereits in Bahariya ist die gelbe Farbe unserer vorderen Nummerntafel verschwunden, es glänzt nur mehr blankes Metall. Hin und wieder versperrt eine Barriere aus leeren Tonnen die Straße. Kurze Paßkontrolle, keiner frägt mehr nach einer 'Tesserija', die 'Oasenstraße' kann frei befahren, allerdings nicht verlassen werden. Unübersehbar weisen große Schilder darauf hin, daß es Ausländern verboten sei, von der Hauptstraße abzuweichen.


Nostalgische Erinnerungen

Der Abzweig nach Ain Dalla, die 'Weiße Wüste' südlich Farafra und der überwältigende Ausblick nach Süden vor der Abfahrt zum Bir Abu Minqar: all dies weckt Erinnerungen an vorangegangene Reisen. Wir können uns der Nostalgie jetzt nicht hingeben, wir müssen unser Ziel, den sudanesischen Darfur, im Auge behalten.

Ein letztes Mal wird in Mot, dem Hauptort der Dakhla-Oasen, vollgetankt. Von dort führt eine neue Teerstraße nach Süden. Der Zugang wird, wie wir von der letzten Reise wissen, von einem Militärposten bewacht. Die Fahrt geht also weiter Richtung Kharga, bis sich etwa fünfzig Kilometer hinter Mot eine günstige Stelle zum Verlassen der Teerstraße bietet.



Doppeltes Glück

Am vorgesehenen Ort queren wir die von Mot kommende, verbotene Teerstraße nach Westen und halten uns mehr nach Süd-West, um auf die zum Gilf Kebir führende Piste zu treffen. Bei einer kurzen Mittagspause der übliche prüfende Blick auf das Auto. Zu meinem Entsetzen muß ich feststellen, daß eine Befestigungsschraube an der Spurstange fehlt und die andere nur lose in ihrer Schelle hängt! Natürlich kann ich mit Bordmitteln den Schaden beheben, doch die Wut auf Toyota Wieser in München, der die Spur kontrollieren und einstellen sollte, bleibt. Nicht lange, denn schon kündigt sich neues Ungemach an: Ein kleiner, brauner Punkt bewegt sich rasch auf uns zu. Mit dem Fernglas ist zu erkennen, es handelt sich um einen Militär-Jeep. Erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit der hier unterwegs ist und dazu noch, ohne eine Staubfahne hinter sich herzuziehen! Noch erstaunlicher: in einer Entfernung von vielleicht 200 Metern düst er mit vollem Rohr an uns vorbei, weiter nach Süden! Er hat uns gar nicht gesehen! Nachdem er schon hinter dem Horizont verschwunden ist, schauen wir nach seinen Spuren: keine zu sehen! Er ist auf der Teerstraße gefahren, die ganz offensichtlich ihre Richtung unbemerkt von Süd nach Südwest geändert hat! Wir sind also die ganze Zeit parallel zu ihr durchs Gelände gegurkt! Da wir nicht gesehen werden wollen, geht es jetzt erstmal gleich zehn Kilometer nach Westen.


Pfusch vom Toyota-Wieser Service!
Noch rechtzeitig bemerkt: Pfusch der Toyota-Werkstatt



No 'easy crossings'

Unser nächstes Ziel ist die Gegend zwischen dem Jebel Uwainat und dem Jebel Kissu, wo wir hoffen, auf die Spuren der LKW zu stoßen, die regelmäßig zwischen Kufra und Mellit bzw. Kutum verkehren. Zur Orientierung dienen uns die alten englischen Karten, die großteils noch auf die Entdeckungsfahrten Kemal el Dins, Bagnolds, Newbold und Shaws und anderer in der Vorkriegszeit zurückgehen. So nimmt es nicht wunder, daß wir ziemlich unverhofft in eine unwegsame Berggegend geraten, wo laut Karte eigentlich eine weite Ebene sein sollte, oder wir uns einen Tag später durch eine Kette niedriger, dafür weicher Dünen quälen müssen, die uns nach zehn Kilometern zwar wieder freigeben, aber freilich erst, nachdem bei einer heiklen Dünenpassage die hinteren Federn einen beachtlichen Schlag abbekommen haben. Diese Dünenkette setzt sich weit nach Süden fort, wo sie auch auf der Karte verzeichnet ist mit lapidaren Bemerkungen wie 'Bad dunes', 'No easy crossings'...


Bergland südlich des Uwainat
In der Karte nicht verzeichnet: unwegsames Bergland


Vorbei am Pottery Hill, wo wir keine Tonscherben, dafür aber einen riesigen Steinmann mit einer uralten, dicken Kruste weißer Vogelexkremente vorfinden, geht es zum nächsten Dünenzug, der uns dank einer bequemen Passage ('Sand Dune Gap') keine Probleme bereitet. Diese Passage wurde schon von der Long Range Desert Group im 2. Weltkrieg genutzt. Unzählige verrostete Shell Benzinkanister markieren einen Feldflugplatz. Deutlich zu erkennen die Auto-Spuren, die von Kufra kommend über den Uwainat nach Selima und weiter zum Nil führen.


Alamat
Einsamer Wegweiser im südlichen Selima Sandsheet



Shaws Camp 18

Unser Tagesziel sollen heute jene three black hills sein, die schon Shaw und später Bagnold als Orientierungspunkte gedient haben. Der Weg dorthin führt durch eine Gegend, die auf der Karte mit 'Drainage and relief data incomplete' beschrieben wird. Tatsächlich enden die weiten aber sehr weichen Sandfelder des Selima Sandsheets recht bald und eine beschwerliche Fahrt über Stock und Stein, durch Wadis und über Felsrücken beginnt. Bereits von weitem sind die drei schwarzen Berge zu erkennen, wir erreichen sie erst Stunden später auf vielen Umwegen. Vom Camp 18 der Expedition von Shaw 1930 ist leider keine Spur mehr zu entdecken.


'Three Black Hills'
Von weitem sichtbar, aber nur schwierig zu erreichen:
die 'three black hills' (rechts hinten)



Der nächste Wegpunkt ist Kemal el Dins Camp 29, das er im Zuge seiner Expedition im Jahre 1925 eingerichtet hatte. Doch bevor wir es erreichen, treffen wir 15 Kilometer davor auf ein Bündel frischer, in Nord-Süd-Richtung verlaufender LKW-Spuren, von denen wir annehmen, dass sie vom Jebel Kissu herüberkommen. Wir beschließen, diesen Spuren zu folgen, da sie ganz offensichtlich in die gewünschte Richtung führen und sicherlich den leichtesten Verlauf nehmen. Diese Rechnung geht voll auf. Die nächsten 150 Kilometer geht es mit 70 Stundenkilometern im 4. Gang über leicht wellige, fast ebene, harte Sandflächen. Dann verdichten sich die LKW-Spuren zu einer Art Piste, um über unangenehmes, steiniges Hügelland zu führen.


Spuren nach El Atrun
Acht LKW-Spuren weisen uns den Weg nach El Atrun



Keine Spur von Merga

Die Oase Merga (Nukheila) sollte nun bald auftauchen. Von den steinigen Hügeln geht es hinunter in eine stark versandete Senke mit zwei einsamen Palmen. Vom See Mergas nichts zu sehen. Die folgenden zehn bis fünfzehn Kilometer machen uns ganz schön zu schaffen. Steile Auffahrten über weiche Hänge, oft mit Schrägfahrten verbunden, grobes Geröll, scharfe Steine, immer bergauf, bergab. Diese Strecke ist die schwierigste, die wir bislang überhaupt gefahren sind. Wir können nur darüber lachen, daß wir tags zuvor noch meinten, dort wo LKW fahren, würden uns keine Schwierigkeiten erwarten...

Inzwischen ist uns klar geworden, daß wir den See von Merga, ehedem Schlupfwinkel des berüchtigten Räubers Gongoi, weit östlich umgangen haben. Wir überlegen gerade, warum die Spuren jetzt nach Südosten, ja fast nach Osten verlaufen, als plötzlich lautlos eine kleine Karawane mit 20 vollbeladenen Kamelen, begleitet von 6 ärmlichen, zerlumpten Gestalten, grußlos und hastig an uns Richtung Westen vorbeizieht. Nach langen Überlegungen bleiben wir dabei, den LKW-Spuren weiter zu folgen. Es stellt sich heraus, daß sie lediglich eine Berggruppe östlich umgehen, um dann wieder voll auf El Atrun zuzuhalten.



El Atrun, Vorposten der Zivilisation

El Atrun kündigt sich durch einen markanten Berggipfel an, der eine palmenbestandene Senke überragt. Einige Kilometer weiter südlich dann das Zeltlager des Polizeipostens, um den im weiten Rund einige LKWs geparkt sind, die wohl die hunderten von Menschen hierher transportiert haben, die es sich um die Büsche herum bequem machen. Die Paßkontrolle verläuft sehr freundlich. Wie wir erfahren, haben sich die Libyer in Merga festgesetzt. Von ihrem Lager aus fahren sie Patrouille, schießen auf alles, was sich bewegt, verfügen sogar über ein Flugzeug und 'elektronische Anlagen'. Das dürfte vermutlich der Grund sein, warum die LKWs Merga 20 Kilometer weit im Osten umgehen. Um das Lager herum jede Menge Fässer, was darauf schließen läßt, daß man hier eventuell Diesel erhalten könnte. Hier beginnt auch eine LKW-Piste nach Dongola.


bei El Atrun
Markante Berge signalisieren die Nähe
El Atruns
  
Shell-Benzinkanister
Zeuge eines Besuchs vor 70 Jahren:
verrostete SHELL-Kanister der
Long Range Desert Group




Von nun ab genießen wir den Luxus einer definierten Piste. Einige Kilometer vor dem Wadi Howar, das von sich weitem schon mit einem breiten Vegetationsstreifen ankündigt, verläuft die Piste in Weichsandfeldern, dafür haben wir wieder unsere acht vertrauten LKW-Spuren vor uns. Im zwei Kilometer breiten Wadi Howar eine aufgegebene Pumpstation, Überreste menschlicher Behausungen und Tierspuren aller Art. Die Ausfahrt aus dem Wadi über die steile Uferböschung gelingt erst im dritten Anlauf.


Wadi Howar
Tiefe LKW-Spuren am Südufer des Wadi Howar



Vom Wadi Howar zu den Tobago Hills

Nun ändert sich die Landschaft allmählich. Zwar gibt es hin und wieder noch weite, wellige Sandfelder, es ist aber offensichtlich, daß die Wüste im Rückzug begriffen ist und unaufhaltsam in Markouba, später in eine grüne Buschsavanne übergeht. In der Ferne sind bereits die Meidob Hills auszumachen. Den ersten gemauerten Häuser, Menschen, Motorpumpen und große Tierherden begegnen wir im Wadi Magrur. Hier überrascht uns die üppig-grüne, dichte Waldlandschaft!


Meidob Hills
Noch angenehme Piste durch die Meidob Hills


Wir folgen einer äußerst schwer zu befahrenen Piste mit tiefen LKW-Spurrillen nach Westen. Wir befürchten schon, auf dem Wege nach Kutum zu sein, als uns der Fahrer eines liegengeblieben FIAT-LKWs beruhigt. Wir sollen nur den nächsten Abzweig nach links nehmen, da gehe es nach Malha. Der kleine Ort ist schnell gefunden, nicht aber der berühmte Krater. Niemand kann uns den Weg dorthin zeigen. Nach langer Suche haben wir ihn, 5 Kilometer nördlich der Moschee, hinter einem flachen, braunen Erdhügel, doch gefunden! Hier bietet sich ein idyllischer Anblick: ein riesiges Kraterrund, tief unten am Grund einige kleine Tümpel und Quellen, aus denen unzählige Herdentiere trinken.


Malha-Krater
Pastorale Idylle im Malha-Krater


Die Piste führt weiter auf die Tobago Hills zu. Sie ist wiederum sehr mühsam zu befahren, wie nahezu alle Pisten im Sudan: sandige, sehr tiefe Spurrillen von LKWs, in der Mitte ein Höcker, der unseren Toyota über das hintere Differential beständig abbremst. So kommen wir nur im 2. oder 3. Gang des Untersetzungsgetriebes voran. Die Motoröltemperatur liegt bei 110 Grad, der Dieselverbrauch ist enorm.

Mellit ist ein sehr geschäftiger Ort. Es gibt hier den Zoll und den Polizeiposten mit angegliedertem, überfülltem Gefängnis, viele Geschäfte aller Art und sogar eine Tankstelle. Transportunternehmer überbieten sich mit Angeboten, Güter und Menschen nach Libyen bringen zu wollen. Es gibt regelmäßige Fahrten nach Kufra, zweimal die Woche.



El Fasher

Keine 80 Kilometer später, 810 Kilometer nach Merga, fahren wir ziemlich überraschend in El Fasher ein. Wie immer gilt unser erster Besuch der Polizei. Schnell sind die Einreiseformalitäten erledigt und die Fahrtgenehmigung unseren Wünschen entsprechend, bis Khartoum ausgestellt. Bleibt nur der Geldwechsel. Die Bank würde schon US-Dollar wechseln, wenn wir eine Devisenerklärung vorlegen könnten, diese müßte uns ja der Zoll in Mellit ausgestellt haben. Doch dort waren wir dummerweise nicht. Nach langem Hin- und Hertelefonieren klappt der Wechsel schließlich auch so. Jetzt haben wir Geld, um tanken zu können. An der Shell-Tankstelle im Ort wird bezahlt, am Flugplatz aus Fässern aufgefüllt. Zu Mittag ist alles erledigt, wir haben genügend Zeit, bummeln zu gehen und einzukaufen. Den späten Nachmittag verbringen wir in aller Ruhe dösend an einem Baum am südlichen Ortsrand.



In den Marra-Bergen

Eine schnelle Wellblechpiste bringt uns am nächsten Morgen weiter nach Süden, in Richtung Nyala. So weit soll es aber vorerst nicht gehen. 90 Kilometer hinter El Fasher biegen wir nach rechts ab. Auf einer schönen Piste erreichen wir nach 34 Kilometern den kleinen Ort Mellam, von wo aus die Piste nach Suni in den Marra-Berge startet. Die zunächst harmlose Piste ändert bald ihrem Charakter. Steil geht es über felsige Abschnitte den Berg hinauf, trockene Bachbetten mit großen Felsblöcken sind zu queren, enge Kurven nur schwer zu nehmen. Auf etwa 1500 m Höhe sehen wir den mächtigen Gipfelaufbau des Jebel Marra vor uns. Die Piste ist inzwischen ziemlich chaotisch geworden; vor allem bei den Bachbetten fürchten wir um unsere Federn, ist das Auto doch mit über 550 Liter Diesel bis zum Rand voll beladen. Da wir nicht wissen, was weiter oben in den Bergen noch Schlimmes auf uns wartet, entschließen wir uns, umzukehren. Im Schrittempo geht es durch die pittoreske Berglandschaft zurück. Total geschafft erreichen wir die Ebene!


Marra-Berge
Malerische Hügellandschaft am Fuße der Marra-Berge

in den Marra-Bergen
Versteckt im hohen Gras die selten befahrene Piste
hinauf in die Marra-Berge




In der 'Voice of America' hören wir heute Abend eine interessante Meldung: die Libyer würden von sudanesischem Gebiet aus Angriffe auf den Tschad starten, unter Duldung durch die Sudanesen, denen die Zahlung von Hilfsgeldern versprochen worden sei. Allerdings hätten die Libyer Probleme mit dem unübersichtlichem Gelände, in dem sie sich nur schwer zurecht finden. Das kommt uns irgendwie bekannt vor....



Brutale Pisten unter stechender Sonne

Unter stechender Sonne, kein Schatten weit und breit, geht es von Nyala über Ed Da'ein und En Nahud nach El Obeid. Wieder quälen wir uns über tief ausgefahrene LKW-Pisten, deren Spur für unseren Toyota einfach zu weit ist. Das heißt: entweder die Erhebung in Pistenmitte unters Differential nehmen und beständig den Sand und oft auch große Steinbrocken vor sich her schieben, oder gefährlich schräg zu fahren, mit einem Rad in der Spurrille, mit dem anderen oben am seitlichen Pistenrand. Um diese Fahrweise realisieren zu können, muß man erst mal über den mittleren Sandwall kommen. Dabei werden die Federn brutal beansprucht durch das enorme Verschränken der Achsen. Die Gefahr des Federbruchs besteht immer dann, wenn ein LKW in der Spur entgegenkommt oder überholt werden muß. Ausweichen müssen immer wir. Am besten rechtzeitig, um eine Konfrontation zu vermeiden.


sudanesische Pisten
Typisch sudanesische Piste


So suchen wir, wo es nur geht, alternative Spuren zu den LKW-Pisten. Hinter Umm Rawaba verläuft eine solche Alternativ-Piste direkt am Bahngleis entlang. Gerade als wir zum Gleis hin einem Loch in der Piste ausweichen wollen, werden wir haarscharf von einem vollbesetzten Personenzug überholt. Wir haben ihn in der dichten Staubwolke, die wir hinter uns herziehen, nicht gesehen! Grosses Gelächter und Winken der fröhlichen Passagiere, die aus allen Türen und Fenstern quellen und es sich zu hauf auch am Dach der Waggons gemütlich gemacht haben.


Piste neben den Gleisen
In knappem Abstand überholt uns unerwartet der Zug



Federprobleme

Wie zu erwarten war, hat die schwierige Piste heute ihr Opfer gefordert: Abends am Lagerplatz beim Kordofan-Berg stellen wir fest, daß das zweite Federblatt einer der hinteren Federn gebrochen ist. Mit der Lösung dieses Problems sind wir schon lange vertraut: das Federpaket wird sorgfältig mit Riemen verschnürt. Das sollte bis Khartoum halten. Wir müssen es nur bis Kosti schaffen, dort wartet die schöne Teerstraße nach Khartoum!

Auf dem Wege nach Kosti gibt es eine Überraschung: die ersten Touristen. Franzosen, die mit ihrem Saviem in die Zentralafrikanische Republik wollen und schon eine wahre Odyssee hinter sich haben. Zuletzt warteten sie in Khartoum tagelang auf die Fahrgenehmigung nach El Fasher. Schließlich haben sie doch noch eine erhalten, aber nur bis El Obeid!



Die Security im Dauerlauf

In Kosti machen wir uns mit dem Auto auf die Suche nach dem Markt. Ein junger Mann mit weißem Hemd, gebügelter Hose und einer riesigen Sonnenbrille will uns anhalten. Kein Platz für Anhalter, wir bleiben nicht stehen! Bei der Rückfahrt treffen wir schon wieder diesen Kerl, diesmal auf der anderen Straßenseite. Auch jetzt will er wieder mitfahren. Das kommt uns doch sehr merkwürdig vor. Wir bleiben nicht stehen, warum auch? Es dauert nicht lange und ein Taxi überholt uns mit halsbrecherischem Tempo, bremst, daß die Reifen rauchen und stellt sich quer in unseren Weg. Die Wagentür wird aufgerissen, ein Schwarzer stürzt auf uns zu, greift mit geübten Griff durch das offene Fahrerfenster zum Lenkrad und zieht den Zündschlüssel ab. Es ist unser Anhalter! Er will unseren Passport haben. Jetzt wird klar, mit wem wir es da zu tun haben: Geheimdienst! Er kann oder will sich nicht ausweisen, da er aber bedrohlich wird, erhält er unsere Pässe. Er will mit ins Auto rein, um uns zu seiner Dienststelle zu bringen. Da ist aber kein Platz für ihn. Er hat Pech, das Taxi, das ihn zu uns gebracht hat, ist inzwischen auf und davon, ein anderes nicht in Sicht. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als im Laufschritt eine viertel Stunde vor unserem Auto herzulaufen, bis wir endlich in seinem Office sind! Hier wimmelt es nur so von jungen Leuten mit weißen Hemden, gebügelten Hosen und riesigen Sonnenbrillen: alles Außendienstmitarbeiter! Der Chef unseres Anhalters will wissen, was Sache ist, prüft unsere Pässe und die Fahrtgenehmigung. Alles in Ordnung! Der Kerl mit dem weißen Hemd bekommt einen tüchtigen Anschiß, wir können fahren, müssen Kosti aber auf der Stelle verlassen. Auf der Nilbrücke erneut eine Kontrolle durch Geheimpolizei. Die Burschen scheinen heute sehr nervös zu sein....



Duschen im Deutschen Club

Vor siebzehn Tagen haben wir Alexandria verlassen. Nun wird es Zeit, sich nach einer Dusche umzuschauen. Die finden wir auch in Khartoums Deutschen Club in Flughafennähe. Auf unserem schweißverkrustetem Körper muß sich so viel Sand und Staub verfangen haben, daß der Duschabfluß im Nu verstopft ist! Wir fühlen uns wieder wie Menschen, doch heute Nacht kommen die Mücken, selbst durch die Entlüftung finden sie den Weg zu ihren Opfern. Bis spät nach Mitternacht kämpfen wir verbissen gegen die Blutsauger. So zieren am Morgen etliche Blutflecken das Fahrzeuginnere.

Es folgt das übliche Programm: Meldung bei der Immigration, Beantragung der Fahrgenehmigung für die vor uns liegende Strecke, Mittagessen im Meridien, Marktbesuch, Entspannen am Pool des Deutschen Clubs, Schreiben vieler Ansichtskarten. Nach einem weiteren Tag in Khartoum haben wir wieder so viel Kraft geschöpft, daß es weitergehen kann. Vor uns liegt die Durchquerung der Bayuda-Wüste bis Debba am Nil. Es herrscht starker Sandsturm und dichter Staub macht die Fahrt auf scheußlicher Wellblechpiste zur Qual. Erst spät am Abend legt sich der Sturm und wir sehen, wo wir sind.

Faszinierend die Annäherung an den Nil. Vergessen die Häßlichkeit der Bayuda-Wüste, vor uns der grüne Palmenstreifen, hinter dem der majestätische Nil verborgen liegt! Durch idyllische Niloten-Dörfer geht es bis El Khandaq. Hier wollen wir den Nil verlassen und direkt Selima ansteuern, das etwa 350 Kilometer im Nordwesten liegt. Diesel haben wir genug bis Ägypten und die kaputte Feder müßte auch halten.



Verrechnet! Es fehlen hundert Liter Diesel

Der markante, von weithin sichtbare Jebel Arbaghi wird als wichtigster Wegpunkt bestimmt. Bis dorthin fahren wir über leichtes Gelände mit gelegentlichen unerwarteten Sandrippen und Querrillen. Das geht natürlich auf unsere kaputte Feder. Prompt stellen wir bei der allabendlichen Durchsicht des Fahrzeugs fest, daß nun schon das 4. Federblatt gebrochen ist. Das macht uns Sorgen. Zwar ist der Dieselverbrauch weitaus geringer als vor Abfahrt in Khartoum geschätzt, hilft aber auch nicht viel, haben wir doch bei der Berechnung des zu tankenden Dieselvorrats einen Additionsfehler gemacht, sodaß uns nun 100 Liter fehlen. Eine schöne Bescherung! Wir müssen also auf dem kürzesten Weg nach Kharga.

Wie immer sind wir in Selima alleine. Nur ein Wüstenfuchs lauert auf ein Paar Landjäger, die wir gerne abgeben. Wir genießen die Geborgenheit, die uns diese idyllische Oase bietet. Noch ein Sorgenkind mehr haben wir inzwischen: die beiden Batterien sind kochend heiß. Eineinhalb Liter destilliertes Wasser müssen nachgefüllt werden. Es wird höchste Zeit, wieder nach Ägypten zu kommen. Die ägyptischen Nummernschilder aus Alexandria werden wieder montiert. Offiziell sind wir nie ausgereist!


Selima
Selima:
In den Palmen lauert schon der Wüstenfuchs auf
seine Beute, ein paar fette Landjäger



Schrille Pfiffe - reger Funkverkehr

Den ursprünglichen Plan, uns zwischen Mot und Kharga wieder auf die Teerstraße zu schmuggeln, müssen wir wegen der Federprobleme und möglicherweise nicht ausreichendem Treibstoffvorrats aufgeben. Wir gehen nunmehr bewußt das Risiko ein, auf dem Weg nach El Maks und Kharga von einem Posten angehalten zu werden. Und das passiert auch.

Als wir eine Kuppe der Teerstraße passieren, der wir seit Bir Dibis folgen, sehen wir schon das große Militärlager vor uns: Bir Abu Hussein. Wie üblich in Ägypten, versperrt eine Reihe Fässer die Straße. Wir halten. Endlich bemerkt uns ein Soldat, kommt angelaufen und rollt das Faß aus dem Weg. Wir fahren. Kaum haben wir so richtig Gas gegeben, ein schriller Pfiff. Ein Offizier macht uns Zeichen, stehen zu bleiben. Er fragt nach unserer Fahrgenehmigung, die wir ihm leider nicht zeigen können. Bis in die Dunkelheit hinein gibt es nun einen regen Funkverkehr mit seiner vorgesetzten Dienststelle.



Unerwartete Einladung zum Abendessen

Noch in der Nacht müssen wir nach Kharga aufbrechen. Im Auto neben uns ein Soldat mit Gewehr und unseren Pässen. Wenigstens ist der Abschied äußerst herzlich und freundschaftlich. Man bedauert sehr die Unannehmlichkeiten, die man uns bereitet hat. Ich kann gerade noch erreichen, daß wir nicht die vollen 300 Kilometer bis Kharga fahren müssen, bei Dunkelheit, auf schlechter Straße, mit gebrochenen Federn. Und schon geht es los. Gespenstisch die Vorbeifahrt an den Militärposten exakt alle 10 Kilometer: mit aufgepflanztem Gewehr wird in die dunkle Nacht hinein salutiert! Im Militärcamp El Kasr, 200 km hinter Bir Abu Hussein ist Schluß. Es ist halb Elf Uhr nachts. Unser Kommen war bereits per Funk angekündigt. Ein Abendessen, bestehend aus Spiegeleiern und Fladenbrot, wird serviert, eine Stunde später liegen wir todmüde im Auto.

Zu unserem großen Erstaunen ist die Begrüßung im Hauptquartier in Kharga sehr freundlich. Man bedauert sehr, uns den Urlaub zu vermiesen. Im Gegenzug bedauern wir, wenn wir gegen unbekannte Gesetze und Vorschriften verstoßen haben sollten. An Hand verschiedener Karten müssen wir erklären, wie wir nach Bir Abu Hussein gekommen sind. Das gelingt sehr plausibel, also gibt es kein Problem mehr. Dann geht es zur Security. Es wird ein Protokoll über den Vorfall erstellt, wir unterschreiben und erhalten die Genehmigung, uns wieder frei im Land zu bewegen. Ein letzter, kurzer Besuch bei einer dritten Behörde und wir sind frei! Unser erster Weg führt zur Tankstelle: nach 3100 Kilometern seit Khartoum wird erstmals wieder vollgetankt!

Die nächsten Tage gehen wir gemütlich an. Über Mot und Bahariya geht es nach Gizeh. Ein ausgiebiges Kulturprogramm steht in Kairo auf dem Programm, übernachtet wird am Plateau direkt bei den Pyramiden, wo wir in der letzten Nacht von Moskitos fast aufgefressen werden und die Nacht nur mehr SPIEGEL-lesend verbringen können.



Startprobleme

So langsam wird es Zeit, nach Alexandria zurückzukehren. Das Schiff soll übermorgen fahren. Wiederum geht es über den Desert Highway, diesmal nach Norden. An passender Stelle suchen wir uns den letzten Lagerplatz dieser Reise. Einen Kilometer abseits der Autobahn machen wir Halt. Am Morgen will der Motor nicht anspringen. Strom ist da, das Radio läuft, trotzdem dreht der Anlasser nicht. Ein prüfender Blick auf die Batterien schockiert mich: in den zwei mittleren Zellen beider Batterien schwimmt statt klarer Batteriesäure nur mehr eine schwarze Brühe. Statt 12.7 Volt messe ich nahezu Null Volt! Das war's wohl. Ohne fremde Hilfe kommen wir hier nicht weg. Also machen wir uns zu Fuß auf den Weg zur Autobahn, um Hilfe zu holen. Wir haben wieder einmal Glück. Ein Baufahrzeug steht wie bestellt da und will uns anschleppen. Zu unserer großen Verblüffung haben wir große Schwierigkeiten, in diesem welligen Terrain unser Auto wiederzufinden! Nach kurzem Ruck läuft der Motor, es kann weitergehen. Dennoch: wir sind total geschockt. So etwas bei Camp No. 18. Das wäre unser Ende gewesen.

(Der Trick mit dem Anwerfen des Motors über ein Hinterrad war uns damals schon bekannt, Hilfe zu holen schien in dieser Situation aber naheliegender).

Nach dem Kauf zweier neuer Batterien, dem Füllen aller Tanks mit billigem Diesel und anschließender Wagenwäsche geht es zum Montazah Palast, wo wir im Park für wenig Geld im Auto übernachten dürfen. Unterwegs sehen wir eine Riesenkarawane italienischer Wohnmobile. Das verspricht einigen Ärger bei der Einschiffung morgen!



Kampf um einen Platz an Bord

Und so kommt es auch. Zwar sind wir die ersten Autotouristen im Hafen, müssen aber untätig zusehen, wie jene Wohnmobile eines nach dem anderen an uns vorbei an Bord fahren. Sollten wir nicht mehr mitgenommen werden, hätte dies ernste Konsequenzen, denn auch nach dieser abenteuerlichen Fahrt in den Darfur erwartet man von uns, pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen. Wir zwängen uns also zwischen die Kolonne der Wohnmobile, lassen uns einweisen zum Parken, legen in Erwartung des üblichen Sturms den ersten Gang im Reduziergetriebe ein, ziehen die Handbremse, schließen die Türen, verschwinden in unserer muffelnden Kabine und genehmigen uns die zweite Duschorgie auf unserer Tour.

Der gefährlichste Abschnitt unserer gewagten Tour kann also beginnen: die Fährpassage zurück nach Venedig!



Reiseberichte Reiseliste Sahara