Wieder einmal standen wir vor dem 'Problem', eine neue, herausfordernde Tour durch
touristisches Neuland in der uns sehr vertrauten Sahara zu finden. Eigentlich bot
sich nur das Tibesti im nördlichen Teil der Republik Tschad an, das für
uns den letzten 'weißen Fleck' auf der vom Roten Meer zum Atlantik reichenden
Sahara-Karte darstellte. Nachdem schon seit längerem die Medien keine beunruhigenden
Meldungen über den Bürgerkrieg im Tschad verbreitet hatten, faßten
wir Mut und setzten gemeinsam mit Grazer Freunden die Idee einer Reise ins
unbekannte Land der Tubus in die Tat um.
Die Spitzen von Sisse rechts hinten (Arkiafera-Ebene, NW-Tschad)
Ein Jahr zuvor hatten wir, auf dem Wege vom Tschadsee nach Bilma, immer wieder
Tubus getroffen, von denen unser Tuareg-Führer keine sehr gute Meinung hatte.
Denoch, so berichtete er, würde er nicht davor zurückschrecken, in ein
paar Wochen, gleich nach Rückkehr von unserer gemeinsamen Tour durch den Erg
von Bilma, eine französische Touristengruppe von Agadez über Bilma nach
Zouar und weiter nach N'Djamena, der Hauptstadt des Tschad, zu führen. Wir
baten ihn, uns dann über seine Erfahrungen zu berichten. Zuverlässig, wie
Idris Bouky war, erhielten wir schon bald seinen ausführlichen Bericht, der
uns sehr ermutigte, unseren langgehegten Traum vom Besuch des Tibesti zu realisieren.
Bestärkt wurden wir von den Erfahrungen unseres Salzburger Freundes Michael
Pliberschnig, der den Brief unseres Tuareg-Führers zum Anlaß nahm,
für den Sahara-Club-Austria die erste Tour nach Jahren dorthin zu organisieren.
Auf Schleichwegen
Nach wie vor ist der Zutritt zur Region Borku-Ennedi-Tibesti streng reglementiert.
Nur mit Genehmigung der zuständigen Regierungsstellen kann dieses
militärische Sperrgebiet offiziell besucht werden. Wir konnten 1992 nur darauf
hoffen, direkt von den dortigen Behörden die erforderlichen Bewilligungen zu
erhalten.
Die Anreise sollte vom Norden her, also über Libyen erfolgen. Mit 630 Liter
Dieselvorrat und entsprechenden Mengen an Trinkwasser war dies der einzig gangbare
Weg, um mit unserem bewährten Toyota LandCruiser und einem Puch G
einigermaßen sicher ans schwierige Ziel zu gelangen und ohne Versorgungsprobleme
den Rückweg antreten zu können.
Von Libyen aus läßt sich der Niger theoretisch über die Toummo-Piste
erreichen, wobei der wegen seines steilen Dünenkammes gefürchtete
Korizo-Paß zu bezwingen ist. Allerdings ist dieser seit dem Rückzug der
Libyer aus dem Tschad vermint und gänzlich unpassierbar. Die Tummo-Piste hat
darüber hinaus den Nachteil, daß Touristen die Einreise in den Niger in
Madama in der Regel stets verweigert wurde.
Beide Pisten kamen daher für uns nicht in Frage. So blieb für die Anreise
zum Tibesti nur eine Route, die weitgehend querfeldein und streckenweise über
nicht ganz einfaches Gelände führt. Unsere Orientierung stützte sich
dabei auf topografische Gegebenheiten, die in den Detailkarten präzise
wiedergegeben waren. Daß wir mit unserer Routenwahl richtig lagen, war einem
Buch über die Aktivitäten des französischen Generals Leclerc zu
entnehmen, der Anfang der 40er Jahre vom Tschad aus die Eroberung des Fezzan plante
und die selbe Route wählte, um in den Norden zu gelangen.
Minenfelder
Auf den geplanten Schleichwegen erreichten wir nach wenigen Tagen ohne Zwischenfall
den Nordwestrand des Tibesti. Von weitem schon war der 3265 Meter hohe Vulkankegel
des Toussidé zu erkennen, der sich mächtig aus der ihm vorgelagerten
Arkiafera-Ebene mit ihren bizarren Bergspitzen auftürmt. So sehr die sandigen
Weiten zum Befahren locken, so groß ist die Gefahr durch Minenfelder, die die
Libyer zum Schutze ihres Rückzugs einige Jahre zuvor verlegten. Der von Gatrun
über den Korizo-Paß nach Zouar führende Abschnitt der alten
Lastwagenpiste wird daher nicht mehr befahren. Heute benutzt man eine weiter
östlich verlaufende, neue Piste. Die Gefahr, von Militärs dort aufgegriffen
zu werden, ist wegen des vergleichsweise starken Verkehrsaufkommens ziemlich groß.
Spitzen von Sisse in Arkiafera-Ebene (N-Tschad)
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Schwierige Zufahrt zum Tibesti auf harter Piste
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Vom Norden kommend den Einstieg nach Bardai zu finden ist schwierig. Es empfiehlt
sich, im kleinen Ort Sao nach dem Beginn der Piste zu fragen. Von Sao aus westlich
bis hinüber zum nigrischen Col de Yei Lulu und nach Süden hin bis Zouar
ist in der Ebene mit Minen zu rechnen. Hingegen ist die Piste nach Bardai frei von
Minen, was von den Pistenrändern nicht mit Sicherheit gesagt werden kann.
Munition und Blindgänger sind häufig anzutreffen.
Trou au Natron
Ausgehend von 650 Meter Seehöhe bei Sao steigt die Piste auf über 2500
Meter Höhe an. Vier mühsame Stunden quälten sich unsere Fahrzeuge
über felsige, staubige, reifenmordende Abschnitte, bis nach fünfzig
Kilometern völlig unvermittelt das überwältigende Kraterloch
'Trou au Natron' direkt neben der Piste auftauchte. Fünf Kilometer später
erreicht man die Paßhöhe. Auf einer stellenweise noch schrecklicheren
Piste als zuvor ging es nun beständig bergab. Nach weiteren siebzig Kilometern
war die paradiesisch erscheinende Oase von Bardai erreicht. Fünfzehn Kilometer
zuvor querten wir das Tal von Gonoa, das die berühmtesten Felsgravuren des
Tibesti birgt.
Trou au Natron: 1000 m hoch ist die Ost-Wand (rechts).
Der Tousside (3265m) wurde von unserem Grazer Freund Gerhard Otte im Alleingang bezwungen
Waran-Braten auf Reis
Unsere Fahrt von Sao nach Bardai gestaltete sich etwas unplanmäßig. Kurz
vor Sonnenuntergang, unweit des Natron-Loches, wo wir unser Lager aufschlagen wollten,
stießen wir auf einen liegengebliebenen Toyota Pick-up. Zwei junge Gendarmen
stoppten uns mit Gewehren. Seit zwei Tagen lägen sie bereits hier, sie
benötigten dringend Hilfe, ein Reifen sei kaputt, die Reservereifen unbrauchbar.
Ein Blick auf die Bereifung ließ uns erschauern. Wie war es möglich, mit
derart ruinierten Reifen auf dieser Piste überhaupt noch zu fahren? Es kostete
uns eine Stunde, den defekten Reifen von der verrosteten Felge abzulösen, den
Schlauch mit einem weiteren Flicken zu reparieren und wieder zu montieren. Die armen
Gendarmen bewunderten unsere Technik und Geschicklichkeit und servierten dankbar Tee.
Spät in der Nacht machten sie sich hoffnungsvoll wieder auf den Weg.
Kiesiges Wadi in zerfurchter Tuffdecke
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Durch enge Schluchten nach Bardai
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Kurz nachdem wir am nächsten Morgen unsere Fahrt nach Bardai fortgesetzt hatten,
wurden wir von einem uns überholenden Toyota gestoppt. Ein alter, wenig
vertrauenerweckender Tubu, dessen Revolver griffbereit am Gürtel baumelte,
kassierte wortlos unsere Pässe und forderte uns unmißverständlich
auf, ihm zu folgen. Die stundenlange Fahrt über Tuffplateaus und durch enge
Schluchten wurde an einem schattigen Rastplatz unter Bäumen unterbrochen, wo wir
eingeladen waren, an einem leckeren Mittagsmahl unserer Tubus teilzunehmen. Es gab
Waran-Braten auf Reis mit Tomatensoße.
In der Oase Bardai
Vom begeisterten Empfang durch die Bevölkerung Bardais trennten uns nur noch
Minuten, als der Militärposten an der Einfahrt zur Oase in Sicht kam. Als
Mannschaft des hintersten Fahrzeugs unseres kleinen Konvois kamen wir mit den
Soldaten schnell ins Gespräch. Sie baten uns um Lebensmittel. Die Situation
hier sei sehr ernst, seit 14 Tagen hätten sie keine Verpflegung mehr erhalten.
Schnell suchten wir einige Konserven zusammen, wofür wir aufrichtigen Dank
ernteten.
Unser erster Weg führte zum Unterpräfekt des Tibesti. Sougoumi Chahaimi,
ehemaliger Combattant, Würde und natürliche Autorität aussstrahlend,
empfing uns freundlich vor seiner komfortablen Palmstrohhütte. Als Unterkunft
teilte er uns die nahe gelegene, noch von den Libyern erbaute Schule zu, von der
aus man einen weiten Blick über die Oase hat. Sie steht übrigens genau
an der Stelle, an der Gustav Nachtigal vor mehr als hundert Jahren längere
Zeit festgehalten wurde. Unweit der Schule befindet sich die ehemalige
Forschungsstation der Freien Universität Berlin, die heute als Lager für
die Zuckervorräte Bardais dient. Seit einem Vierteljahr war die Schule
geschlossen, da es dem Staat nicht möglich war, die Anreise der Lehrer aus
dem Süden und ihre Gehälter zu zahlen.
Im Laufe des Nachmittags erhielten wir immer wieder Besuch von Soldaten, die uns
über die katastrophale Versorgungssituation berichteten und von uns Hilfe
erwarteten, da die Bevölkerung Bardais Ihnen gegenüber - den Besatzern
aus dem Süden - feindlich eingestellt ist und selbst kaum genügend zu essen
hat. Wir gaben so gut wir konnten, waren dann aber doch froh, daß der
Unterpräfekt einen Wächter zu Verfügung stellte, der die Soldaten
vertreiben sollte, was dem kleinen, alten Mann tatsächlich auch eindrucksvoll
gelang. Es hätte nicht lange gedauert und wir wären unsere Vorräte
los gewesen! Auch die Securité machte uns ihre Aufwartung. Die erste Frage
von vielen galt natürlich der Autorisation zum Besuch des Tibesti. Als
Ausgleich für die unbefriedigenden Antworten bewirteten wir die Herren
fürstlich. Sie verließen uns erst nach Sonnenuntergang, ohne unsere
Fahrzeuge inspiziert zu haben.
Warten auf die Genehmigung zur Weiterfahrt
Am nächsten Morgen statteten wir dem Unterpräfekt unseren offiziellen
Besuch ab. Höflich und freundlich erkundigte er sich nach unserer Autorisation
den Besuch des Tibesti und unseren weiteren Plänen. Wir baten ihn im Gegenzug
um seine Genehmigung für eine Kameltour zu den heißen Schwefelquellen von
Soborom und eine Tibesti-Rundtour mit den Fahrzeugen. Versprechen konnte er dies
nicht, wollte aber unsere Anwesenheit seiner vorgesetzten Dienststelle in Faya
melden und deren Anweisungen abwarten. Die Pässe blieben einstweilen in seiner
Verwahrung.
Die folgenden Tage vergingen mit Warten auf die Genehmigung, mit Beobachtungen des
beschaulichen und einfachen Lebens der Bevölkerung und Gesprächen mit vielen
neugierigen Besuchern, die sich die Gelegenheit zu Kontakten mit europäischen
Touristen nicht entgehen lassen wollten. Wir hörten von desertierten Soldaten,
die dem Hunger-Regime in Bardai entfliehen wollten und dabei vor Raub und Totschlag
nicht zurückschreckten, von Räuberbanden, die Fahrzeugen in der Hoffnung
auf Eßbares und Waffen auflauerten, und von Minenfeldern, die weite Teile des
Tschad unsicher machen.
Unterkunft in Bardais 'libyscher' Schule
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Warten auf die Fahrtgenehmigung
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Als nach einer Woche noch immer kein Bescheid vorlag, entschlossen wir uns, auf
Kameltour und Rundreise zu verzichten. Aus den vielen Gesprächen glaubten wir
herausgehört zu haben, daß die Chancen für eine Genehmigung ohne
Zustimmung des Präsidenten der Republik unter den gegebenen Umständen
sehr gering wären und wir eher mit der Ausweisung zu rechnen hätten.
Über den Sekretär der Unterpräfektur setzten wir den Unterrpräfekten
von unseren Absichten in Kenntnis. Am nächsten Morgen sprachen wir in seinem
Büro vor und erhielten die ordnungsgemäß abgefertigten Pässe
ausgehändigt. Es folgte eine herzliche Verabschiedung. Ohne Begleitfahrzeug
durften wir nach Sao zurückfahren. Das hatte den Vorteil, daß wir uns
für die Besichtigung der steinzeitlichen Gravuren in Gonoa viel Zeit nehmen
konnten.
Freundlicher Abschied:
Sousprefet Sougoumi Chahaimi (re) und sein Sekretär
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Monsieur le Commissaire von Wour
Er warnte uns vor Minen am Pistenrand
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Wegelagerer im Tibesti
Nach einer weiteren Nacht am Natron-Loch trat dann genau das ein, wovor man uns
in Bardai verschiedentlich aber sehr diskret gewarnt hatte: Auf offener Strecke
überholte uns halsbrecherisch ein Toyota Pick-up, blieb unvermittelt stehen
und etwa fünfzehn Mann, Soldaten und Zivilisten, sprangen von der Ladefläche,
um uns mit vorgehaltenen Kalaschnikows zu stoppen. Der Anführer der Bande,
ein Tubu in Zivil, verlangte über seinen Dolmetscher unsere Genehmigung zum
Betreten des Tibesti zu sehen. Unsere Erklärung, wir seien Gäste des
Unterpräfekten gewesen und brauchten daher keine Genehmigung, wurde nicht
akzeptiert. Wenn wir keine Genehmigung hätten, könnten wir nur
Banditen sein. Er wäre für die Sicherheit im Tibesti zuständig und
Banditen, die das Tibesti unsicher machten, müßten erschossen werden.
Also würde er uns jetzt erschießen! Die Situation war nicht zum Spaßen.
Schließlich erklärte der Chef seine Bereitschaft, zum ersten und letzten
Mal Gnade vor Recht ergehen zu lassen, und verlangte als Buße für unser
Vergehen ein Toyota-Reserverad und Geld.
Nachträglich wurde uns klar, daß es besser gewesen wäre, den
Unterpräfekten um eine Begleitung zu bitten, auch wenn dadurch die
Bewegungsfreiheit eingeschränkt gewesen wäre. Um nicht ein weiteres Mal
Opfer habgieriger Wegelagerer zu werden, rumpelten wir auf Biegen und Brechen die
brutale Bergpiste zurück nach Sao, von wo aus wir, die markanten Spitzen des
Dao Minetto passierend, bald die Grenze zum Niger erreicht hatten.
Unsere Rückfahrt nach Libyen war über lange Strecken begleitet von den
Spuren zweier Schmuggel-LKW, die ganz offensichtlich wie wir nicht gesehen werden
wollten. Erst auf der Teerstraße bei Umm el Araneb verloren wir sie dann
aus den Augen...
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