Pionierfahrt ins Tibesti:

zum 'Weißen Fleck' auf der Sahara-Karte

© Reinhart Mazur, 1992-2008


Wieder einmal standen wir vor dem 'Problem', eine neue, herausfordernde Tour durch touristisches Neuland in der uns sehr vertrauten Sahara zu finden. Eigentlich bot sich nur das Tibesti im nördlichen Teil der Republik Tschad an, das für uns den letzten 'weißen Fleck' auf der vom Roten Meer zum Atlantik reichenden Sahara-Karte darstellte. Nachdem schon seit längerem die Medien keine beunruhigenden Meldungen über den Bürgerkrieg im Tschad verbreitet hatten, faßten wir Mut und setzten gemeinsam mit Grazer Freunden die Idee einer Reise ins unbekannte Land der Tubus in die Tat um.


Spitzen von Sisse, Nordwest-Tschad
Die Spitzen von Sisse rechts hinten (Arkiafera-Ebene, NW-Tschad)


Ein Jahr zuvor hatten wir, auf dem Wege vom Tschadsee nach Bilma, immer wieder Tubus getroffen, von denen unser Tuareg-Führer keine sehr gute Meinung hatte. Denoch, so berichtete er, würde er nicht davor zurückschrecken, in ein paar Wochen, gleich nach Rückkehr von unserer gemeinsamen Tour durch den Erg von Bilma, eine französische Touristengruppe von Agadez über Bilma nach Zouar und weiter nach N'Djamena, der Hauptstadt des Tschad, zu führen. Wir baten ihn, uns dann über seine Erfahrungen zu berichten. Zuverlässig, wie Idris Bouky war, erhielten wir schon bald seinen ausführlichen Bericht, der uns sehr ermutigte, unseren langgehegten Traum vom Besuch des Tibesti zu realisieren. Bestärkt wurden wir von den Erfahrungen unseres Salzburger Freundes Michael Pliberschnig, der den Brief unseres Tuareg-Führers zum Anlaß nahm, für den Sahara-Club-Austria die erste Tour nach Jahren dorthin zu organisieren.



Auf Schleichwegen

Nach wie vor ist der Zutritt zur Region Borku-Ennedi-Tibesti streng reglementiert. Nur mit Genehmigung der zuständigen Regierungsstellen kann dieses militärische Sperrgebiet offiziell besucht werden. Wir konnten 1992 nur darauf hoffen, direkt von den dortigen Behörden die erforderlichen Bewilligungen zu erhalten.

Die Anreise sollte vom Norden her, also über Libyen erfolgen. Mit 630 Liter Dieselvorrat und entsprechenden Mengen an Trinkwasser war dies der einzig gangbare Weg, um mit unserem bewährten Toyota LandCruiser und einem Puch G einigermaßen sicher ans schwierige Ziel zu gelangen und ohne Versorgungsprobleme den Rückweg antreten zu können.

Von Libyen aus läßt sich der Niger theoretisch über die Toummo-Piste erreichen, wobei der wegen seines steilen Dünenkammes gefürchtete Korizo-Paß zu bezwingen ist. Allerdings ist dieser seit dem Rückzug der Libyer aus dem Tschad vermint und gänzlich unpassierbar. Die Tummo-Piste hat darüber hinaus den Nachteil, daß Touristen die Einreise in den Niger in Madama in der Regel stets verweigert wurde.

Beide Pisten kamen daher für uns nicht in Frage. So blieb für die Anreise zum Tibesti nur eine Route, die weitgehend querfeldein und streckenweise über nicht ganz einfaches Gelände führt. Unsere Orientierung stützte sich dabei auf topografische Gegebenheiten, die in den Detailkarten präzise wiedergegeben waren. Daß wir mit unserer Routenwahl richtig lagen, war einem Buch über die Aktivitäten des französischen Generals Leclerc zu entnehmen, der Anfang der 40er Jahre vom Tschad aus die Eroberung des Fezzan plante und die selbe Route wählte, um in den Norden zu gelangen.



Minenfelder

Auf den geplanten Schleichwegen erreichten wir nach wenigen Tagen ohne Zwischenfall den Nordwestrand des Tibesti. Von weitem schon war der 3265 Meter hohe Vulkankegel des Toussidé zu erkennen, der sich mächtig aus der ihm vorgelagerten Arkiafera-Ebene mit ihren bizarren Bergspitzen auftürmt. So sehr die sandigen Weiten zum Befahren locken, so groß ist die Gefahr durch Minenfelder, die die Libyer zum Schutze ihres Rückzugs einige Jahre zuvor verlegten. Der von Gatrun über den Korizo-Paß nach Zouar führende Abschnitt der alten Lastwagenpiste wird daher nicht mehr befahren. Heute benutzt man eine weiter östlich verlaufende, neue Piste. Die Gefahr, von Militärs dort aufgegriffen zu werden, ist wegen des vergleichsweise starken Verkehrsaufkommens ziemlich groß.


Spitzen von Sisse, Arkiafera, Tschad
Spitzen von Sisse in Arkiafera-Ebene (N-Tschad)
  
Einstieg ins Tibesti
Schwierige Zufahrt zum Tibesti auf harter Piste




Vom Norden kommend den Einstieg nach Bardai zu finden ist schwierig. Es empfiehlt sich, im kleinen Ort Sao nach dem Beginn der Piste zu fragen. Von Sao aus westlich bis hinüber zum nigrischen Col de Yei Lulu und nach Süden hin bis Zouar ist in der Ebene mit Minen zu rechnen. Hingegen ist die Piste nach Bardai frei von Minen, was von den Pistenrändern nicht mit Sicherheit gesagt werden kann. Munition und Blindgänger sind häufig anzutreffen.



Trou au Natron

Ausgehend von 650 Meter Seehöhe bei Sao steigt die Piste auf über 2500 Meter Höhe an. Vier mühsame Stunden quälten sich unsere Fahrzeuge über felsige, staubige, reifenmordende Abschnitte, bis nach fünfzig Kilometern völlig unvermittelt das überwältigende Kraterloch 'Trou au Natron' direkt neben der Piste auftauchte. Fünf Kilometer später erreicht man die Paßhöhe. Auf einer stellenweise noch schrecklicheren Piste als zuvor ging es nun beständig bergab. Nach weiteren siebzig Kilometern war die paradiesisch erscheinende Oase von Bardai erreicht. Fünfzehn Kilometer zuvor querten wir das Tal von Gonoa, das die berühmtesten Felsgravuren des Tibesti birgt.


Trou au Natron
Trou au Natron:
1000 m hoch ist die Ost-Wand (rechts). Der Tousside (3265m)
wurde von unserem Grazer Freund Gerhard Otte im Alleingang
bezwungen





Waran-Braten auf Reis

Unsere Fahrt von Sao nach Bardai gestaltete sich etwas unplanmäßig. Kurz vor Sonnenuntergang, unweit des Natron-Loches, wo wir unser Lager aufschlagen wollten, stießen wir auf einen liegengebliebenen Toyota Pick-up. Zwei junge Gendarmen stoppten uns mit Gewehren. Seit zwei Tagen lägen sie bereits hier, sie benötigten dringend Hilfe, ein Reifen sei kaputt, die Reservereifen unbrauchbar. Ein Blick auf die Bereifung ließ uns erschauern. Wie war es möglich, mit derart ruinierten Reifen auf dieser Piste überhaupt noch zu fahren? Es kostete uns eine Stunde, den defekten Reifen von der verrosteten Felge abzulösen, den Schlauch mit einem weiteren Flicken zu reparieren und wieder zu montieren. Die armen Gendarmen bewunderten unsere Technik und Geschicklichkeit und servierten dankbar Tee. Spät in der Nacht machten sie sich hoffnungsvoll wieder auf den Weg.


im Tibesti
Kiesiges Wadi in zerfurchter Tuffdecke
  
Schluchten im Tibesti
Durch enge Schluchten nach Bardai




Kurz nachdem wir am nächsten Morgen unsere Fahrt nach Bardai fortgesetzt hatten, wurden wir von einem uns überholenden Toyota gestoppt. Ein alter, wenig vertrauenerweckender Tubu, dessen Revolver griffbereit am Gürtel baumelte, kassierte wortlos unsere Pässe und forderte uns unmißverständlich auf, ihm zu folgen. Die stundenlange Fahrt über Tuffplateaus und durch enge Schluchten wurde an einem schattigen Rastplatz unter Bäumen unterbrochen, wo wir eingeladen waren, an einem leckeren Mittagsmahl unserer Tubus teilzunehmen. Es gab Waran-Braten auf Reis mit Tomatensoße.



In der Oase Bardai

Vom begeisterten Empfang durch die Bevölkerung Bardais trennten uns nur noch Minuten, als der Militärposten an der Einfahrt zur Oase in Sicht kam. Als Mannschaft des hintersten Fahrzeugs unseres kleinen Konvois kamen wir mit den Soldaten schnell ins Gespräch. Sie baten uns um Lebensmittel. Die Situation hier sei sehr ernst, seit 14 Tagen hätten sie keine Verpflegung mehr erhalten. Schnell suchten wir einige Konserven zusammen, wofür wir aufrichtigen Dank ernteten.

Unser erster Weg führte zum Unterpräfekt des Tibesti. Sougoumi Chahaimi, ehemaliger Combattant, Würde und natürliche Autorität aussstrahlend, empfing uns freundlich vor seiner komfortablen Palmstrohhütte. Als Unterkunft teilte er uns die nahe gelegene, noch von den Libyern erbaute Schule zu, von der aus man einen weiten Blick über die Oase hat. Sie steht übrigens genau an der Stelle, an der Gustav Nachtigal vor mehr als hundert Jahren längere Zeit festgehalten wurde. Unweit der Schule befindet sich die ehemalige Forschungsstation der Freien Universität Berlin, die heute als Lager für die Zuckervorräte Bardais dient. Seit einem Vierteljahr war die Schule geschlossen, da es dem Staat nicht möglich war, die Anreise der Lehrer aus dem Süden und ihre Gehälter zu zahlen.

Im Laufe des Nachmittags erhielten wir immer wieder Besuch von Soldaten, die uns über die katastrophale Versorgungssituation berichteten und von uns Hilfe erwarteten, da die Bevölkerung Bardais Ihnen gegenüber - den Besatzern aus dem Süden - feindlich eingestellt ist und selbst kaum genügend zu essen hat. Wir gaben so gut wir konnten, waren dann aber doch froh, daß der Unterpräfekt einen Wächter zu Verfügung stellte, der die Soldaten vertreiben sollte, was dem kleinen, alten Mann tatsächlich auch eindrucksvoll gelang. Es hätte nicht lange gedauert und wir wären unsere Vorräte los gewesen! Auch die Securité machte uns ihre Aufwartung. Die erste Frage von vielen galt natürlich der Autorisation zum Besuch des Tibesti. Als Ausgleich für die unbefriedigenden Antworten bewirteten wir die Herren fürstlich. Sie verließen uns erst nach Sonnenuntergang, ohne unsere Fahrzeuge inspiziert zu haben.



Warten auf die Genehmigung zur Weiterfahrt

Am nächsten Morgen statteten wir dem Unterpräfekt unseren offiziellen Besuch ab. Höflich und freundlich erkundigte er sich nach unserer Autorisation den Besuch des Tibesti und unseren weiteren Plänen. Wir baten ihn im Gegenzug um seine Genehmigung für eine Kameltour zu den heißen Schwefelquellen von Soborom und eine Tibesti-Rundtour mit den Fahrzeugen. Versprechen konnte er dies nicht, wollte aber unsere Anwesenheit seiner vorgesetzten Dienststelle in Faya melden und deren Anweisungen abwarten. Die Pässe blieben einstweilen in seiner Verwahrung.

Die folgenden Tage vergingen mit Warten auf die Genehmigung, mit Beobachtungen des beschaulichen und einfachen Lebens der Bevölkerung und Gesprächen mit vielen neugierigen Besuchern, die sich die Gelegenheit zu Kontakten mit europäischen Touristen nicht entgehen lassen wollten. Wir hörten von desertierten Soldaten, die dem Hunger-Regime in Bardai entfliehen wollten und dabei vor Raub und Totschlag nicht zurückschreckten, von Räuberbanden, die Fahrzeugen in der Hoffnung auf Eßbares und Waffen auflauerten, und von Minenfeldern, die weite Teile des Tschad unsicher machen.


libysche Schule in Bardai
Unterkunft in Bardais 'libyscher' Schule
  
Warten in libyscher Schule, Bardai
Warten auf die Fahrtgenehmigung




Als nach einer Woche noch immer kein Bescheid vorlag, entschlossen wir uns, auf Kameltour und Rundreise zu verzichten. Aus den vielen Gesprächen glaubten wir herausgehört zu haben, daß die Chancen für eine Genehmigung ohne Zustimmung des Präsidenten der Republik unter den gegebenen Umständen sehr gering wären und wir eher mit der Ausweisung zu rechnen hätten. Über den Sekretär der Unterpräfektur setzten wir den Unterrpräfekten von unseren Absichten in Kenntnis. Am nächsten Morgen sprachen wir in seinem Büro vor und erhielten die ordnungsgemäß abgefertigten Pässe ausgehändigt. Es folgte eine herzliche Verabschiedung. Ohne Begleitfahrzeug durften wir nach Sao zurückfahren. Das hatte den Vorteil, daß wir uns für die Besichtigung der steinzeitlichen Gravuren in Gonoa viel Zeit nehmen konnten.


Sousprefet Sougoumi Chahaimi, Bardai
Freundlicher Abschied:
Sousprefet Sougoumi Chahaimi (re)
und sein Sekretär
der Commissaire von Wour
     Monsieur le Commissaire von Wour
   Er warnte uns vor Minen am Pistenrand 




Wegelagerer im Tibesti

Nach einer weiteren Nacht am Natron-Loch trat dann genau das ein, wovor man uns in Bardai verschiedentlich aber sehr diskret gewarnt hatte: Auf offener Strecke überholte uns halsbrecherisch ein Toyota Pick-up, blieb unvermittelt stehen und etwa fünfzehn Mann, Soldaten und Zivilisten, sprangen von der Ladefläche, um uns mit vorgehaltenen Kalaschnikows zu stoppen. Der Anführer der Bande, ein Tubu in Zivil, verlangte über seinen Dolmetscher unsere Genehmigung zum Betreten des Tibesti zu sehen. Unsere Erklärung, wir seien Gäste des Unterpräfekten gewesen und brauchten daher keine Genehmigung, wurde nicht akzeptiert. Wenn wir keine Genehmigung hätten, könnten wir nur Banditen sein. Er wäre für die Sicherheit im Tibesti zuständig und Banditen, die das Tibesti unsicher machten, müßten erschossen werden. Also würde er uns jetzt erschießen! Die Situation war nicht zum Spaßen. Schließlich erklärte der Chef seine Bereitschaft, zum ersten und letzten Mal Gnade vor Recht ergehen zu lassen, und verlangte als Buße für unser Vergehen ein Toyota-Reserverad und Geld.

Nachträglich wurde uns klar, daß es besser gewesen wäre, den Unterpräfekten um eine Begleitung zu bitten, auch wenn dadurch die Bewegungsfreiheit eingeschränkt gewesen wäre. Um nicht ein weiteres Mal Opfer habgieriger Wegelagerer zu werden, rumpelten wir auf Biegen und Brechen die brutale Bergpiste zurück nach Sao, von wo aus wir, die markanten Spitzen des Dao Minetto passierend, bald die Grenze zum Niger erreicht hatten.

Unsere Rückfahrt nach Libyen war über lange Strecken begleitet von den Spuren zweier Schmuggel-LKW, die ganz offensichtlich wie wir nicht gesehen werden wollten. Erst auf der Teerstraße bei Umm el Araneb verloren wir sie dann aus den Augen...


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