Osttürkei: einsame Landstrasse nach Norden zum Schwarzen Meer
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Wieder in der Türkei
Seit den späten 60er-Jahren, als wir als Studenten unsere ersten Reisen bis
in die hintersten Winkel des riesigen Landes unternahmen, konnten wir die Entwicklung der Türkei
vom weithin rückständigen Entwicklungsland zur wichtigen Regionalmacht erleben. Die Bevölkerung
nahm rasant zu, ebenso die ausgedehnten Wohnhochhaussiedlungen an den Stadträndern, nicht nur im
Westen des Landes, auch in ehedem sehr einsamen Regionen. Das Land wurde von Autobahnen durchzogen.
Es hat nun sogar den Anschein, als wäre jedes Dorf in Anatolien über eine neue Teerstrasse erreichbar,
mit Ausnahme vielleicht der Kurdengebiete, die nach wie vor in Abgeschiedenheit dahindämmern.
Trotz aller zivilisatorischer 'Segnungen', man kann in der Türkei aber immer noch unversehrte Natur
und Ruhe finden, natürlich nicht dort, wo sich die Massen drängen. Wir konzentrierten uns bei dieser
Reise vor allem auf die ganz im Osten sehr abgelegenen Provinzen der Türkei.
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Frühstück am Coruh-Fluss in den Ausläufern der Karadeniz-Berge
ein aus Zentralasien sehr vertrautes Bild: hier ein türkisches Bergdorf am Coruh-Fluss
dramatisch verengt sich das Coruh-Tal zur tiefen Schlucht
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Das enorme Wachstum der Wirtschaft bedingt einen Ausbau der Energieversorgung. Energiegewinnung aus
Wasserkraft steht im ganzen Land im Vordergrund. Manche dieser Großprojekte sind aus diversen Gründen
stark umstritten. Das Projekt im Coruhtal wird hingegen zügig umgesetzt und damit viel Naturlandschaft
unrettbar zerstört.
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gewaltige Baugrube eines Staudammprojektes am Coruh-Fluss
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Die zweite Einreise in die Türkei bei Posor, von Georgien kommend (die erste war in Batumi per Schiff
aus Sotschi kommend), führte uns in eine Landschaft, wie wir sie in der Türkei auf vielen Reisen
noch nie gesehen hatten. Östlich der Hauptstraße Ardahan - Kars - Igdir erstreckt sich eine weite,
dünnbesiedelte Hochebene bis nach Georgien und Armenien hinein.
Am Länderdreieck Türkei-Georgien-Armenien
liegt einsam der Cildir See. Nur zu ganz bestimmten Zeiten drängen sich dort die Menschen. Das ist
dann, wenn auf der kleinen Insel beim Dorf Akcakale das 'Cildir Gölü Festival' abgehalten wird.
Wir kamen leider etwas zu spät und konnten nur mit großem Unverständnis die über das
gesamte Gelände verstreuten Müllmassen zur Kenntnis nehmen. Zu dem Zeitpunkt wußten wir noch
nichts von dem großen Ereignis, ahnten aber zumindest, daß sich da etwas Bedeutendes abgespielt haben
mußte.
Kars ist sicherlich das wirtschaftliche Zentrum der Ardahan-Region. In der ganzen Stadt entstehen
neue Gebäude, breite Strassen durchziehen die Stadt und verbinden sie mit der näheren und
weiteren Umgebung. Ohne große Mühe sind die baulichen Relikte aus der russischen Epoche dieser Stadt
zu finden. Man fühlt sich versetzt in ein kleines russisches Städtchen.
Nach ihrer Eroberung von Kars 1878 zogen sich die Russen erst im Jahre 1920 zurück und überließen
die Stadt kurzzeitig den Armeniern , die sie nicht allzu lange darauf wiederum an die Türken verloren.
Es soll hier aber doch vermerkt werden, daß noch vor den Zeiten von Ani Kars die Hauptstadt eines
armenischen Königreichs war.
Schon um das Jahr 1000 n.Chr. war Ani eine der
bedeutendsten Handelsstädte der damaligen Welt. Armenier, Seldschuken und Byzantiner wechselten
sich in der Herrschaft ab, bis schließlich die Mongolen 1239 dem Leben in der Stadt ein Ende bereiteten.
Ein schweres Erdbeben 100 Jahre später vollendete das Zerstörungswerk. Seitdem liegt Ani in Trümmern.
Die Armenier trauern noch heute 'ihrem' Ani nach, und natürlich dem Ararat, die heutzutage beide
auf türkischem Territorium liegen. Auf armenischer Seite des Arpa Cayi Flusses wurde ein sog. 'Ani View Point'
eingerichtet mit Schautafel und Blick auf die ferne Ruinenstadt jenseits des Flusses.
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'Ani View Point' bei Haykadzor, Armenien die Schautafel zeigt die Fassade der Kathedrale von Ani
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das Löwentor aus dem 11. Jahrhundert, Eingang zum historischen Ani
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Hinter den mächtigen Mauern breitet sich das riesige Areal des historischen Ani aus.
Ein Großteil bedeutender Bauwerke ist noch ganz gut erhalten. Die meisten von ihnen stammen aus dem
späten 10. oder 11. Jahrhundert und somit aus armenischer Zeit. Aber auch seldschukische Bauwerke aus dem 11.
Jahrhundert, wie das Löwentor am Engang, sind noch vorhanden. Aus dem 4. Jahrhundert stammt der Feuertempel
der Zoroaster.
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die armenische Kathedrale von Ani (1010 n.Chr.) jenseits des Flusses liegt Armenien
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Die christliche Kathedrale von Ani ist eine der wenigen größeren armenischen Kirchen. Baubeginn war bereits
im Jahre 987, die Fertigstellung 1010. Wenige Jahre später folgte schon die erste
moslemische Moschee auf damalig armenischen Boden. 1072 wurde sie von den Seldschuken errichtet, sie ist bis
zum heutigen Tage gut erhalten.
Neben ethnischen Türken bilden u.a. Kurden im ehemalig armenisch beherrschten Gebiet einen erheblichen Bevölkerungsanteil.
Wie auch anderswo in der Osttürkei, fallen Kurdendörfer durch ihre einfachen Behausungen
aus Lehm oder grobem Stein auf, mit ihren Flachdächern und winzigen Fenstern. Vor den Häusern riesige Stapel mit
getrocknetem Tierdung, der in den strengen Wintern als einzig verfügbares Heizmaterial dient.
Städte im Nordosten mit überwiegend kurdischer Bevölkerung, wie Erzurum, Erzincan, Agri oder Dogubayazit
unterscheiden sich schon immens von typisch 'türkischen' Städten. Im allgemeinen wirken sie düster und
abweisend. Erzincan ausgenommen, das nach dem Erdbeben zu einer freundlichen, großzügigen Stadt erneuert wurde. Agri
ist zum Beispiel das pure Gegenteil. Man schaut, daß man wegkommt, so schnell wie möglich. Erzurum wurde groß
zur Universitätsstadt ausgebaut und kann doch nicht verbergen, daß es einst eine finstere, unangenehme Kleinstadt war.
Wir erinnern uns noch genau, wie wir vor über 40 Jahren, je weiter wir in den Osten der Türkei kamen, umso weniger
passable Hotels und Restaurants vorfanden und wie überrascht wir waren, als wir in Maku, hinter der Grenze im Iran,
wieder westliche Standards genießen konnten...
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Kurdengehöft in den Bergen nahe Dogubayazit
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Nach einer Besichtigung des Ishak Pascha Palastes hoch über Dogubayazit in den Bergen gelegen,
traten wir so langsam die Rückreise an. Auf dem Programm standen aber noch kulturelle Aktivitäten,
die bis dahin auf dieser Reise etwas zu kurz geraten waren. Vor vielen Jahren lasen wir mit Begeisterung Enge Schluch und Schwarzer Berg, ein Buch über die Entdeckung
des Hethiterreiches von C.W.Ceram. Jetzt wollten wir die Gelegenheit nutzen, uns einige der bedeutendsten
Hethiterstätten anzusehen.
Bevor wir jedoch das kleine Dörfchen Bogazkale am Fuße der Hügel von Hattusa und Yazilikaya besuchten, ging es
zunächst einmal auf autobahnähnlichen Fernstraßen bis kurz vor Erzincan, nach Altintepe,
der bedeutendsten Siedlung der Urartäer hoch oben auf einem Vulkankegel gelegen. Da es schon spät
war, beschlossen wir, gleich auf dem Parkplatz des umzänten Ausgrabungsgeländes zu übernachten.
Es war schon dunkel, als heftig an unsere Scheiben geklopft wurde. Der Wächter des Areals wollte unbedingt,
daß wir hier verschwinden. Wir wollten dies nun unbedingt nicht, denn wo sollten wir sonst hinfahren. Nach
längeren Diskussionen wurde der Ausgrabungsleiter benachrichtigt. Auch dieser
wollte uns vertreiben. Doch energischer Widerspruch half letztendlich. Prof. Karaosmanoglu gab die Erlaubnis,
hier zu nächtigen. Tags darauf war der Streit vergessen. Von seinem Oberassistenten wurden wir herumgeführt
und man erklärte uns die Bedeutung dieses Platzes aus dem 9. Jhdt. vor Christus.
Bogazkale liegt nordwestlich von Yozgat, sehr abgeschieden in der anatolischen Hochebene. Ein, zwei schöne
Campingmöglichkeiten gibt es in dem kleinen Ort, zwei kleine Einkaufsläden und drei Hotels. Das größte
dieser drei verfügt über ein riesiges Restaurant für Bustouristen,
mit miserabler Küche und extremen Preisen.
Von Bogazkale aus lassen sich das ausgedehnte Ruinenfeld von Hattusa und die Felsbilder von Yazilikaya bequem
erreichen, vor allem, wenn man mit dem Auto das extra dafür angelegte Sträßchen benutzt.
Weniger bekannt, aber ebenso lohnenswert, ein Besuch der Ausgrabungsstätte von
Alacahöyük, etwa eine viertel Autostunde nördlich von Bogazkale, mit ihrem
Museum und den 4500 Jahre alten Grabstellen. Nach Zerstörung dieser Siedlung 1200 v.Chr.
errichteten die Bewohner eine neue Hauptstadt und nannten sie Hattusa.
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Sphinxtor in Alacahöyük, dem Zentrum der Hattier,
Vorgänger der Hethiter (2000 v.Chr.)
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Hattusa: der 'Grüne Stein', ein Geschenk von Ramses II, dem Erbauer von Abu Simbel
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Felsrelief in Kammer B von Yazilikaya (1200 v.Chr.)
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Mit Bogazkale hatten wir also die 'Enge Schlucht' (Yazilikaya) C.W. Cerams besucht. Der 'Schwarze Berg', nämlich
Karatepe in der Süd-Ost-Türkei nahe Osmaniye, ist für eine weitere Reise vorgemerkt.
Nachdem alte osmanische Bausubstanz in weiten Teilen der Türkei durch wuchernde Neubauten gnadenlos vernichtet
wurde, wollten wir die Gelegenheit nutzen, das osmanische Amasya, das wir bereits vor 40 Jahren besuchten, noch einmal anzusehen.
So schwierig es war, in die Stadt hineinzukomen, so schnell war man wieder draußen. Es war Urlaubszeit und die
Türken wollten sich alle noch einmal in die alten Zeiten zurückversetzen, indem sie einen halben Tag
in Amasya verbrachten. Das Problem war nur: wo findet man einen Parkplatz? Es war alles dicht, selbst der Straßenverkehr
war total blockiert durch Parkplatzsuchende. Wir folgten dann dem Besispiel anderer, die sich notgedrungen in eine der
ausgedehnten Halteverbotszonen stellten und die Warnblinkanlage einschalteten. Das sollte angeblich vor dem Abschleppen bewahren.
Da waren wir aber skeptisch und verließen Amasya sofort nach hastig verspeistem Mittagsmahl, ohne uns noch die Altstadt am anderen
Flußufer angesehen zu haben. Es gibt kaum Schlimmeres als die Kralle zu bekommen oder abgeschleppt zu werden. Aus dieser Erfahrung heraus
verzichteten wir auf den Besuch von Safranbolu, einem Weltkulturerbe aus der Osmanenzeit...
Die letzte angenehme Etappe durch die Türkei führte uns durch die Berge zum Schwarzen Meer,
von Akcakoca nach Sile. Was dann kam, war der blanke Horror. Menschenmassen, Verkehrstrubel, ein Häusermeer
soweit das Auge blickt: von Istanbul die Marmara-Küste entlang bis Tekirdag. Das ist nicht die Türkei, von der wir träumen!
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