Am liebsten der 51. Bundesstaat der USA
Sobald man den Boden
Georgiens betritt, gewinnt man den Eindruck, in einem Mitgliedsland der EU und/oder im
51. Bundesstaat der USA zu sein, so viele EU- oder US-Flaggen wehen, vor allem an öffentlichen
Gebäuden. Man gibt sich alle Mühe, lieber heute als morgen in die NATO aufgenommen
zu werden. Diesem Bestreben wird alles untergeordnet.
Mit amerikanischem Geld werden allerorten kleine Feldlazarette errichtet, Flugplätze angelegt,
sogar ein U-Boot-Hafen in Kulevi ist geplant. Lazika, eine neue Stadt nur für Amerikaner, soll
aus dem Boden gestampft werden, alles zum Beweis dafür, welch zuverlässiger NATO-'Partner' man im Krieg
gegen den Iran doch wäre.
Ein Gutes haben die Bestrebungen, sich den Standards des Westens anzugleichen, immerhin gebracht:
Die Erledigung der Grenzformalitäten wurde erleichtert, die Beamten sind freundlich und sprechen
sogar Englisch. Der Aufenthalt an der Grenze beschränkt sich so auf nur wenige Minuten.
Dennoch erfährt man bei der Einreise in Sarpi am Schwarzen Meer einen gehörigen Schock!
Da spannt sich völlig deplaziert ein monströser, bizarrer Neubau über
die Strasse, der wohl Sinnbild für das großartige, moderne Georgien sein
soll...aber das Gegenteil bewirkt. Man schaut, daß man so schnell wie möglich
das Weite sucht um die herrliche, fast tropische Berglandschaft am Ufer des Schwarzen Meeres zu genießen.
Schon bald hinter der Grenze wird man mit abstrusen Neubauphantasien konfrontiert. Batumi, die alte,
charmante Hafenstadt, soll im Rahmen einer internationalen Freihandelszone groß ausgebaut werden. Als Vorbild dient
Dubai! Die ersten Bauten stehen schon, viele weitere sollen folgen (falls sich Investitoren finden).
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ungezählte Irrsinns-Bauprojekte im bettelarmen Batumi
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Altstadtgasse in Batumi mit bizarrem neuen Turmbau
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wenn renoviert wird, dann mit Geschmack und perfekter Handwerkskunst
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dieses bescheidene Häußchen wird bald auch der Spekulation zum Opfer fallen...
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...um dann einer Monstrosität dieser Art zu weichen
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die üblichen, traditionellen Mietwohnungen im Plattenbau (Batumi)
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Der Großteil der eingesessenen Bevölkerung steht den abgehobenen
Plänen der Tifliser Regierung mit völligem Unverständnis gegenüber.
Man ist froh, sich Obst und Gemüse in kleinen Mengen an den bescheidenen
Strassenmärkten kaufen zu können.
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bescheidener Strassenmarkt in Batumi: Kirschen und Aprikosen im Angebot!
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Auch in Tiflis ist die Bauwut ausgebrochen. Das alte Hochhaus-Hotel am zentralen Boulevard
in dem hunderte von Flüchtlingsfamilien aus dem Abchasien-Krieg untergebracht waren,
wurde abgerissen, ein neues modernes Hotel Radisson an stelle dessen errichtet. Hotelneubauten
sind in, angesichts der Erwartungen, die man sich im Hinblick auf den erhofften Imagegewinn
des Landes macht.
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dieser protzige Hotelpalast im stalinistischen Stil soll in bester Lage in Tiflis entstehen
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Hin und wieder trifft man auf Neubauten, deren Sinn und Zweck sich nicht erschließt.
Zum Beispiel eine Fußgängerbrücke, die vom Zentrum der Stadt über die
Kura in eine kahle 'Park'anlage ohne Baum und Strauch führt. Planung und Realisation
durch ein deutsches Architekturbüro. So schön und technisch elegant die
Stahlkonstruktion auch sein mag, man hätte das Geld sicher besser in die Sanierung der
alten Häuser am Altstadtufer stecken können. Es verwundert, daß dies nicht geschehen ist.
Denn gerade die Altstadt wurde und wird liebevoll und mit großem handwerklichen Geschick
restauriert.
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der eigentliche Zweck dieser modernen Brückenkonstruktion erschließt sich uns nicht
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hier in der prächtig restaurierten Altstadt von Tiflis wohnen heute die Reichen
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am Flußufer inmitten der renovierten Altstadt ein Luxusrestaurant neben dem anderen
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Es fällt schwer, bei einem Rundgang durch die malerisch sanierte Altstadt, nicht
in eines der Luxusrestaurants hineinkomplimentiert zu werden. Ein Blick auf die
Speisekarte, so sie denn auf Englisch ist, verhilft dem unfreiwilligen Besucher aber
schnell zur Flucht. Offensichtlich verkehrt hier nur die zu Reichtum gekommene Oberschicht.
In einem alten Wohnviertel, nahe unseres Hotels 'David' fanden wir hingegen etwas Passendes,
ein traditionelles Gasthaus mit 'kaukasischer Küche'. Wir waren die einzigen Touristen
unter den vielen Stammgästen, wurden aber genauso aufmerksam und freundlich bedient. Die
Wirtin empfahl eine georgische Spezialität, für die sie im Viertel berühmt
war eigentlich nichts Besonderes, aber wir wurden satt.
Im Gegensatz zur renovierten Altstadt blieben die sich den Berg hochziehenden Wohnviertel
am Rande des Stadtzentrums von Sanierungsmaßnahmen unberührt und drohen langsam zu
verfallen. Die Menschen haben sich es darin aber lebenswert eingerichtet.
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Privatverkauf am Haustor
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der Verkäufer will nicht erkannt werden
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'Sorry, where is Contemporary Art Museum?'
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Lange hielt es uns nicht in Tiflis, einer Stadt, die nicht geeignet ist, da Urlaub zu machen.
Wir hatten auf unserer Reise durch die südlichen Kaukasusländer bereits viele schöne
Naturlandschaften gesehen, auch in Georgien. Doch ein Besuch eines der bekannten 5000er, nämlich
des Kazbek, stand noch aus. Das sollte nun nachgeholt werden.
Durch grüne Täler vorbei an armen Dörfern erreicht die Strasse den bekannten
Skiort Gaudari mit einigen Hotels im alpenländischen Stil, der im Sommer wie ausgetorben erscheint.
Wenig später, schon von weitem sichtbar, ein riesiges Monument an einen 2400m hohen Pass, das an
die Vereinigung Georgiens mit Russland vor nun über 200 Jahren erinnern soll.
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Denkmal zur 200-jährigen Verbindung Georgiens mit Russland
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Von hier aus geht's bergab in den weiten Talkessel von Kazbegi, von dem aus man einen herrlichen Blick auf
den 5033m hohen Kazbek haben sollte. Dieses Glück war uns nicht gegönnt. Tiefe schwere Wolken
verhüllten den Berg. Nur ab und zu gaben sie die Sicht auf den furchterregenden Abbruch des
gewaltigen Gergeti Gletschermassivs frei.
Über einen steilen, schmalen Weg ist es möglich, zur auf 2200 m gelegenen historischen Kirche Tsminda Sameda
Kirche zu fahren, von der aus sich eine phantastische Rundsicht bietet. Nur sollte man rechtzeitig am Morgen
die Fahrt antreten, andernfalls ergeben sich bei der Rückfahrt fast unlösbare Konflikte mit entgegenkommenden Fahrzeugen!
Natürlich wollten wir uns auch den Grenzübergang nach Russland
(Nordossetien) im Bereich der Dariali-Schlucht ansehen mit der Tamar Burg,
die den Verkehr an der Grusinischen Heeresstrasse kontrollierte. Heute existiert gleich
nebenan ein neuer Grenzkomplex, der leider für normale Touristen gesperrt ist.
Nur georgische Fahrzeuge und solche aus den russischen Kaukasusregionen dürfen
passieren.
Aktuellen Informationen zufolge (Mai 2012), ist dieser Grenzübergang nunmehr auch für ausländische
Touristen in beiden Richtungen geöffnet. Es bleibt das Sicherheitsrisiko in der russsischen
Kaukasusregion.
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Grenzübergang nach Russland (Dariali Schlucht)
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Und
hier geht's weiter nach Armenien
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