in Urumqi
Im Volkspark von Urumqi, einer idyllischen Oase inmitten der Millionenstadt



Erlebnisse in China


Einreise bei Irkeshtam

Einen Tag vor dem seit langem verabredeten Einreisetermin nach China erkundigten wir die Situation im kirgisischen Grenzbereich von Irkeshtam, um nur ja nicht durch Unvorhergesehenes am pünktlichen Zusammentreffen mit unserem chinesischen 'Führer' gehindert zu werden. Seit unserer Abreise von zu Hause hatten wir so gut wie keinen eMail-Kontakt mehr mit Wang Lun, da er mit anderen Gästen unterwegs war und nach den schweren Unruhen in Urumqi und Xinjiang alle Telefon- und Internetverbindungen von Xinjiang ins Ausland unterbrochen waren. Wir mußten uns also auf sein Wort verlassen, am 1. September 2009 mit allen nötigen Papieren an der Grenze zu stehen.

Wie recht wir hatten, diese Grenzinspektion vorzunehmen, bewiesen die unzähligen chinesischen Lastwagen und Sattelschlepper, die sich auf kirgisischer Seite der Grenze über mehrere Kilometer vor dem Abfertigungsareal stauten. Wir eruierten den Ablauf der Grenzprozeduren und wie es gelänge, uns am besten auf der schmalen, zugeparkten Zufahrtsstraße an den Lastwagen vorbei an die Spitze der Kolonne zu setzen. Ohne Schmiergeld zu zahlen (wie es die Chinesen gezwungen sind zu tun), halfen uns die freundlichen kirgisischen Grenzer sogar dabei. Zoll und Grenzpolizei waren dann im Nu erledigt. Wir konnten fahren!


Irkeshtam, Kirgistan
Wir sind hier noch in Kirgistan. Dies ist nur ein kleiner, aber typischer Teil des Grenz'ortes' Irkeshtam. Umfunktionierte Container und Bauwagen dienen als 'Magazin', 'Hotel' oder 'Kafe'. Etwas abseits dieser unansehnlichen Ansammlung von Schrott wird eine neue kirgisische Grenzstation errichtet, die den Anforderungen an eine Grenzabfertigung nach internationalem Maßstab gerecht werden soll.


Der chinesische Grenzbereich liegt einige Kilometer hinter dem kirgisischen. Dazwischen ein gesicherter Vorposten, an dem gehalten werden muß. Hier werden nicht nur schon mal die Visa geprüft, man will auch eine Kopie der offiziellen Reiseerlaubnis sehen. Und dann wird es richtig heiter! Eine bewaffnete Truppe befiehlt das Auto auszuräumen und den Inhalt aller Kisten und Taschen vorzuweisen. Während eine handvoll Soldaten das Auto innen durchsucht, wird man selbst an die Wand gestellt, die Beine gespreizt, und gründlichst durchsucht. Der Boß der Truppe ist aber sehr freundlich und spricht sogar Englisch! Wir dürfen weiter, vorbei an den wartenden LKW, zum Abfertigungskomplex, wo uns gleich ein gut zu kontrollierender Platz nahe des Haupteingangs zugewiesen wird. Man führt uns zur Immigration und stellt an Hand des Reiseplans fest, daß wir erst am nächsten Tag unsere Reise durch China beginnen dürfen, vorausgesetzt, der chinesische Tourbegleiter holt uns mit allen nötigen Papieren ab. Bis dahin haben wir zu warten.

Es ist elf Uhr vormittags, die Mittagspause bei den chinesischen Beamten hat begonnen. Sie dauert dann etwa bis 15 Uhr. Wir haben also viel Zeit, unseren Kocher herauszuholen und etwas zu Essen zu machen. Dies ist nichts Ungewöhnliches, die chinesischen Lastwagenfahrer tun dasselbe. Am späten Nachmittag beginnt unsere Grenzabfertigung. Zuerst muß mal wieder das Auto ausgeladen werden. Der Veterinär sucht nach Lebensmitteln, vor allem nach Milch- und Fleischprodukten. Da er nicht tief genug in den fix montierten inneren Seitenkisten stöbert, findet er glücklicherweise nichts, was er zu unserem Unglück hätte beschlagnahmen können. Immerhin kassiert er die köstlichen Pfirsiche, die wir auf dem Basar in Osh kiloweise gekauft hatten. Er verbietet uns kategorisch, die Früchte zu essen, da wir schon in China seien und die Einfuhr von Obst verboten sei. Darauf folgt der Gesundheitscheck, eine Farce, aber mit dem Ergebnis, dass wir für gesund befunden worden sind! Und die ernste Ermahnung, das Gesundheitszeugnis bei der Ausreise vorzuweisen, andernfalls es sonst Schwierigkeiten gäbe. Für die Desinfektion des Fahrzeugs müssen wir selbstverständlich bezahlen, getan wird aber nichts.

So langsam wird es dunkel und wir fragen sicherheitshalber einen englischsprechenden Grenzoffizier, ob er was dagegen hätte, wenn wir im Auto in einer ruhigen Ecke des Zollhofs übernachten würden. Da trifft ihn fast der Schlag! Ausgeschlossen, hier könne nicht übernachtet werden, wir müssten uns ein Hotelzimmer besorgen. Nur wo? Wir protestieren, aber selbst der Zollchef verweigert die Erlaubnis. Immerhin deligiert er einen Beamten, der uns das Hotelzimmer suchen soll. Der repräsentative Bau im Ort ist nicht, wie wir vermuten, das Hotel, sondern die Unterkunft für die unzähligen Beamten, die hier Dienst tun (müssen). Unser Hotel ist ein düsteres Loch mit gefängisähnlichen Zellen. Wir protestieren erneut. Die Frage an den chinesischen Beamten, ob er hier schlafen wollte, verneint er ganz klar, ist aber sicher, daß wir es letztlich müßten. Ein junger uygurischer Geschäftsmann hat die Zimmersuche mitbekommen und bietet uns freundlich an, bei ihm zu übernachten.

Von der chinesischen Seite der Grenze haben wir den ersten Kontrakt per Handy mit Wang Lun. Er versichert uns, morgen um neun Uhr an der Grenze zu sein. Wir sind erleichtert, daß alles so gut klappt, nach vielen Monaten der Vorbereitung und der großen Ungewißheit in den letzten Wochen.

Um neun Uhr ist Dienstbeginn, die Beamten strömen in ihre Büros und nehmen uns in die Abfertigungshalle mit, wo wir auf Wang Lun warten sollen. Das Auto steht unberührt noch dort, wo wir es gestern vormittag geparkt hatten. Nach Dienstschluß um 11 Uhr rufen wir Wang Lun an, wo er denn bleibt. Mit einer Seelenruhe erzählt er uns, er sei wegen des starken LKW-Verkehrs aufgehalten worden habe noch 100 Kilometer bis zur Grenze. Eine glatte Lüge, wie sich später herausstellt, er ist einfach nicht früh genug aus Kashgar losgefahren!

Kurz vor Wiederaufnahme des Dienstbeginns um 15 Uhr rüttelt ein Chinese mit großem weißen Sonnenhut am Absperrgitter, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich weiß, das ist Wang Lun. Mit betont gelassenem Schritt gehe ich auf ihn zu und kaum haben wir die ersten Begrüßungsworte gewechselt prasseln heftige Vorwürfe seine Unzuverlässigkeit betreffend auf ihn ein. Mir ist es gleich, was er von meinem ungehobelten Benehmen hält, ich muß meiner Wut Luft verschaffen! Denn eines ist klar: wir werden erst spät, hoffentlich noch an diesem Tag, die langwierigen Zollformalitäten erledigen können, die seit kurzem zur Einfuhr von privaten Fahrzeugen geschaffen wurden.

Und so kommt, was wir absolut vermeiden wollten: eine gefährliche Nachtfahrt über 240 km Landstrasse nach Kashgar.


Wang Lun

Der Ärger über die Unpünktlichkeit unseres chinesischen Reisebegleiters Wang Lun legte sich, als wir sahen, mit welchem Engagement er die komplizierten neuen Prozeduren, die seit kurzem für die vorübergehende Einfuhr privater Reisefahrzeuge geschaffen wurden, bewältigte. Ich begleitete ihn von Station zu Station in dem ausgedehnten Areal, ohne auch nur einmal auf meine Frage, was als nächstes zu tun ist, eine Antwort zu erhalten. Das war typisch für ihn. Ganz offensichtlich betrachtete er es als eine Art Geschäftsgeheimnis, wie er was bei den verschiedensten Behörden im Laufe der Reise erledigen mußte. Leider gab er im Verlauf der Reise nie aus eigenem Antrieb heraus irgendwelche Informationen oder Erklärungen über Land und Leute. Immer lag es an uns zu fragen.

Der Tag nach der Ankunft in Kashgar war der Instandsetzung der Bremsen an unserem Auto gewidmet, die wegen zu großem Spiel in den Vorderradlagern nur unzuverlässig funktionierten. Wir waren Wang Lun dankbar, daß er uns den Weg zu einer großen Werkstatt zeigte, die professionell, routiniert und billigst die Bremsen richtete. Der folgende Tag in Artush war spannend: nicht nur war die Führerscheinprüfung zu bestehen, es gab auch einen Gesundheitscheck, der sich aber auf eine kurze Präsentation beim Amtsarzt beschränkte. Viel kritischer war die computer-gestützte technische Prüfung des Fahrzeugs, die weitaus anspruchsvoller war als jene beim deutschen TÜV, dafür aber kostenlos. Mit dem mehrere Seiten umfassenden Prüfprotokoll, bemängelt wurde darin lediglich die Scheinwerfereinstellung, waren alle Hürden zur Erteilung der chinesischen Nummerntafel genommen.


Toyota Werkstatt Kashgar
Auf Geländefahrzeuge spezialisierte Werkstatt in Kashgar


Es konnte also losgehen! Die folgenden 6 Wochen waren wir zu dritt. An die Enge hatten wir uns bald gewöhnt, atmeten aber dennoch auf, als wir nach nahezu 10.000 Kilometern die kasachische Grenze erreicht hatten und zu zweit in gewohntem Komfort die lange Heimreise antreten konnten.

Wang Lun machte es sich anfangs sehr bequem, indem er ungefragt auf die Liegefläche hinter den Sitzen kletterte und dort einschlief. Das tat er allerdings auch regelmäßig, wenn er zwischen uns auf seinem Notsitz Platz genommen hatte. Er wachte nur auf, wenn er einen der vielen Anrufe mit seinem Handy entgegennahm oder um selbst eines der vielen Telefonate zu führen. Es kam auch vor, daß wir ihn wecken mußten, wenn wir wieder einmal an einem Checkpoint hielten. Seine Aufgabe bestand dann darin, die Legalität unserer Anwesenheit an dem Checkpoint durch einen Stapel Genehmigungen nachzuweisen. Das gelang ihm dann aber stets perfekt. Es gab keine Schikanen, keine Wartezeiten und auch die Speed-Controlleure ließen uns meist unbehelligt.

Er wußte, wie man die Offiziellen um den Finger wickeln konnte! Besonderes Geschick und Durchsetzungsvermögen bewies er gegen Ende der Reise, als es ihm gelang, die Durchfahrt durch die hermetische Abriegelung des Zentrums von Kuqa an den bewaffneten Posten vorbei zu unserem 'internationalen' Hotel zu erzwingen.

Mit dem enormen Schlafbedürfnis unseres 'Führers' konnten wir uns abfinden, nicht aber damit, daß er sich bei jeder denkbaren Gelegenheit aus dem Staub machte und uns kommentarlos alleine ließ. Von unserem Nachtplatz am Rande des kleinen Kaffs Xaidullao im Kuen Lun Gebirge verschwand er plötzlich. Wir vermuteten, er sei wieder einmal in ein 'Restaurant' zum Essen weggegangen, knapp eine halbe Stunde Fußmarsch. Um 10 Uhr in der Nacht war er immer noch nicht bei seinem Zelt zurück. Uns wurde es mulmig, denn wie könnten wir die Reise fortsetzen ohne ihn, der doch alle Permits besaß? Ich war sicher, ihn per Handy zu erreichen und tatsächlich, er antworte sofort. Er sei auf dem Weg zu uns, würde den Platz aber nicht mehr finden. Nachdem ich die Scheinwerfer einschaltete, um ihm den Weg zu weisen, stolperte er ohne Taschenlampe den Fluß entlang in Richtung unseres Lagerplatzes.

Noch ärgerlicher war ein Vorfall in Mazar, kurz vor Querung des Kuen Lun Gebirges zum Tarim Becken. Zu Mittag hielten wir wie immer zur Einnahme eines kleinen Imbißes. Eine halbe Stunde Pause war verabredet, dann sollte es weitergehen, um die lange Etappe bis kurz vor Yecheng an der südlichen Seidenstrasse noch vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen. Nach über einer Stunde war er immer noch verschwunden. Er saß gemütlich in einem desolaten 'Restaurant', nicht um nur mal kurz eine Nudelsuppe zu schlürfen, vielmehr wartete er darauf, das Shish-Kebab serviert zu bekommen, für das zuvor ein armes Tier für ihn geschlachtet worden war. Das ging zu weit! Es kam zu einem heftigen Wortwechsel. Was fiele ihm denn ein, uns die Zeit zu stehlen, sodaß er zwar gut gespeist hätte, wir aber bei stockdunkler Nacht, Kälte und Sturm gezwungen wären, zu kochen. Wang Lun war beleidigt!


Mazar
Restaurantzeile im Ortszentrum von Mazar (Kuen Lun Gebirge)


Für jemanden wie wir, die wir jahrzehntelang die Freiheit der Wüste genossen hatten, waren die Zwänge, die das begleitete Reisen mit sich brachte, das Warten vor Strassensperren, die anschließende Hetze, die permanenten Polizeikontrollen unterwegs, nahezu unerträglich. Die beiden ersten Reisen durch China mit Kong 'Andy' waren unvergleichlich angenehmer. Er richtete sich nach unseren Bedürfnissen und nahm auch mal in Kauf, zu Mittag nichts zu essen zu haben und am Abend nur eine sehr bescheidene Unterkunft bei Strassenbauarbeitern zu finden. Der berühmte Karawanenführer Wang hingegen war sehr viel anspruchsvoller und stellte seine Bedürfnisse über die seiner zahlenden Gäste.



Unterwegs auf Chinas Strassen

Pass im Kuen Lun Gebirge © Dong Hongquan
Einer von zwei fast 5.000 m hohen Pässen im Kuen Lun Gebirge auf dem Weg von Mazar nach Yecheng. In drei Jahren wird auch diese Pass-Strasse durch eine moderne Teerstrasse ersetzt sein! (by courtesy of Dong Hongquan, Chengdu Panorama Tour)


Die derzeit noch schwierigen Strassenverhältnisse bei der Fahrt in Kirgistan nach Irkeshtam und die mühsame Erledigung der Grenzformalitäten bei der Einreise geraten schlagartig in Vergessenheit, sobald man auf Chinas Strassen rollt. Es ist einfach unfassbar, was das in deutschen Medien infam als 'Schwellenland' verspottete China aus eigener Kraft an gigantischen Infrastrukturverbesserungen aller Art realisiert. Dazu zählt auch der landesweite Ausbau und die Erneuerung des Strassennetzes.


Neue Teerstrasse durch die Qoltag-Berge zwischen Korla und Turpan. Wegen des chaotischen Geländes mußten die Fahrbahnen getrennt auf unterschiedlichen Trassen durch das Gebirge geführt werden. Die Geschwindigkeit wird per Videoüberwachung streng kontrolliert.


Strassenbaustelle
Dieser harmlos aussehende Beipass an einer Strassenbaustelle hat es in sich! Wegen fehlender Verkehrsregelung fährt jedes Fahrzeug einfach in die Engstelle ein, in der Hoffnung, das entgegenkommende Fahrzeug werde schon ausweichen. Meist bleibt das ein Wunschtraum. Hier schrammen zwei große LKW aneinander vorbei, nicht ohne ihre Rückspiegel abzuwerfen. Bis es soweit war, mußte 2 Stunden lang auf die Weiterfahrt gewartet werden. Ein Vorbeimogeln im sumpfigen Gelände rechts der Strasse war nicht ratsam!


So angenehm es auch ist, auf modernst ausgebauten Überlandstrassen zu fahren, so stressig können auch Ortsdurchfahrten und Baustellenabschnitte sein. Erstaunlicherweise legen die chinesischen Baustellenbetreiber überhaupt keinen Wert auf eine effektive Verkehrsregelung an Strassenbaustellen. Hier herrscht immer noch 'kommunistische' Amtsmentalität. Der Verkehr wird oft stundenlang gestoppt, obwohl es auch anders ginge. Die Autofahrer nehmen dies klaglos hin. Beschwerden sind sinnlos. Man versucht daher so gut wie möglich, gesperrte Strassenbauabschnitte im Gelände zu umgehen, durch Sumpf und tiefes Wasser, über steile Wiesen und felsiges Gelände. Einmal weigerten wir uns, der Aufforderung Wang Luns zu folgen, einen federbrechenden Umweg zu nehmen, was mit bösen Beschimpfungen endete.

Das andere Problem sind Ortsdurchfahrten am Lande, wo für breite Schnellstrassen rechts und links der neuen Trasse ganze Ortsteile platt gemacht wurden, folglich das ursprüngliche Leben nun eben mitten auf der Fahrbahn weitergeht. Damit verbunden sind viele Gefahrenmomente, ausgehend vom gedankenlosen und ungeübten Verhalten der Dorfbevölkerung, seien es Fußgänger, Lenker von Eselskarren oder Autofahrer.

Letztere haben die Angewohnheit, reflexartig und permanent zu hupen, einerseits um ihre Anwesenheit zu signalisieren, andereseits ihrem Anspruch auf alleinigen Besitz der Strasse Nachdruck zu verschaffen. In Hotan an der südlichen Seidenstrasse nahm dieses merkwürdige Verhalten der Autolenker schon bizarre Formen an. Es verging buchstäblich keine Sekunde, in der kein Hupensignal zu hören gewesen wäre. Diese in unseren Augen völlig überflüssige oder gar schädliche Verhaltensweise nervt.


Ortsausfahrt Hami
Ortsausfahrt Hami: von Engpässen bei der Treibstoffversorgung kann keine Rede sein. Dort konzentrieren sich mehrere Grosstankstellen, die Treibstoff in verschieden Qualitäten anbieten. Diesel ist meist miserabel und relativ teuer (ca. 65 EUROcent). Gleich daneben Fresslokale und ein riesen Angebot an Obst, besonders begehrt die berühmten Hami Zuckermelonen.


Ganz anders hingegen die Situation in Urumqi, wo der Verkehr in nahezu europäisch-zivilisierter Form abläuft. Radfahrer sind aber auch dort nicht ihres Lebens sicher, genausowenig wie Fußgänger, die die breiten Strassen queren wollen.

Was auffällt auf den Strassen Chinas sind Radfahrer. Nein, nicht die einheimischen, vielmehr die ausländischen Urlaubs-Fahrradtouristen. Oft in größeren Gruppen strampeln sie sich bis zum Geht-nicht-Mehr ab. Größten Respekt hatten wir vor einer allein reisenden jungen Französin, die uns schon bei der Einreise in Irkeshtam verblüffte. In kaum einer halben Stunde hatte sie alle Formalitäten erledigt, schwang sich auf ihr Rad und fuhr davon, während wir da saßen und auf unseren chinesischen Reisebegleiter warten mußten. Auf der neuen Landstrasse nach Kashgar holten wir sie bei Einbruch der Dunkelheit ein. Sie strampelte immer noch, bei Sturm und Regen. Wir hielten und wechselten einige Worte, um ihr unsere höchste Anerkennung auszusprechen. Unter einem riesigen Regencape, geschützt durch einen bis auf die Schulter fallenden Hut blickte uns eine junge Dame an, äußerst gepflegt, mit Make-up und blendendem Aussehen. Es war einfach nicht vorzustellen, daß sie sehr bald eine Übernachtungsmöglichkeit in der Natur, neben der Strasse, finden mußte, um die Nacht zu überstehen. In den vielen Wochen zuvor war ihr dies stets gelungen. Wir wünschten ihr eine glückliche Weiterfahrt zum Karakorum-Highway und entschwanden im gut beheizten LandCruiser.


Essen in China

Auf unserer Tour durch China war das Essen das größte Problem, mit dem wir zu kämpfen hatten. Wir wußten ja schon, was auf uns zukommen sollte, aufgrund der Erfahrungen, die wir bei zwei längeren vorausgegangen Reisen machen mußten. Speziell für die 6 Wochen lange Etappe durch China hatten wir daher genügend Lebensmittel aller Art mitgeführt. Zu unserem großen Verdruß mußten wir am Ende der Reise aber feststellen, daß wir einen erheblichen Teil davon wieder mit nach Hause brachten. Wie konnte es dazu kommen?

Der Grund hierfür war einfach: obwohl anders mit Wang Lun vor Auftragserteilung vereinbart, war es nicht zu vermeiden, daß Übernachtungen vorwiegend in Hotels stattfanden und nicht in der freien Natur. Das lag zum einen an der Einteilung der Etappen, zum anderen daran, daß Wang Lun die Bequemlichkeit der Hotelübernachtung (warmes Zimmer, Frühstück und Abendessen, Internetcafe, etc.) den Erschwernissen der Übernachtung im Zelt (schwieriger Aufbau, Wind und nächtliche Kälte, nichts zu essen, da kein Proviant und Kocher vorhanden, etc.) vorzog.

Im Hotelzimmer konnten wir den Gaskocher nicht betreiben, da stets Rauchmelder installiert waren und das Abkochen im Zimmer ausdrücklich verboten war. Was blieb uns also anderes übrig, als unser Glück bei einem der vielen chinesischen Restaurants zu versuchen. Um den Serviermädchen klar zu machen, was wir essen wollten, hielten wir ihnen das bewährte 'Point it' unter die Nase. Das klappte immer und serviert bekamen wir wie gewünscht stets Rindfleisch(?)stückchen mit Nudeln oder pappigem Reis. Das alles mit einer triefenden Glutamatsoße übergossen. Resultat war natürlich Unwohlsein und Schwindel nach jedem Mahl dieser Art. Da wir mit Stäbchen nicht essen können, führten wir stets Messer und Gabel mit, was aber akzeptiert wurde.

Bald kamen wir darauf, diesen gesundheisschädlichen Fraß durch eine Art Notverpflegung zu ersetzen, die wir mit heißem Wasser im Hotelzimmer selbst zubereiten konnten. In den unfaßbar großen Lebensmittelmärkten, meist im Untergeschoss riesiger Einkaufszentren zu finden, gab es eine unübersehbare Auswahl an Fertiggerichten zu Spottpreisen. Für umgerechnet 80 EUROcent versorgten wir uns mit zwei großen roten Pappbechern, in denen getrocknete Nudeln mit dehydriertem Fleisch und Gewürzsoße enthalten war. Mit heißem Wasser aufgegossen, reichte es aus, unseren abendlichen Hunger zu stillen.

Eine wichtige Entdeckung machten wir in Xinjiang: neben der Vielzahl kleiner chinesischer Imbissbuden und größerer Luxusrestaurants gibt es noch eine weitere Art von Restaurants, nämlich jene, die nur 'Moslem Food' servieren. Diese Art von Speisen kommt dem, was wir als 'geniesbar' bezeichnen schon sehr nahe. in diesen Restaurants wird an normalen Tischen (ohne Glasdrehteller) gegessen, das Essen wird meist in einer blitzsauberen Küche vor den Augen der Gäste zubereitet und kann vor Bestellung an Photos mit Preisen ausgesucht werden. Die Atmosphäre ist angenehm und unkompliziert, das Essen schmackhaft (kein Glutamat!) und billig.

In Tibet haben wir mit den Restaurants beste Erfahrungen gemacht. Genau gesagt, mit dem einen in Lhasa, das wir mehrfach besuchten. Es war das 'Tashi' in der Altstadt, ein privates Gasthaus, geführt von einer lieben tibetischen Familie, mit der wir uns sogar bestens in Englisch verständigen konnten. Jedes Mal bestellten wir eine reichhaltige Suppe, Yak-Steak und Pommes frites. Wir waren begeistert! Endlich einmal herzhaftes Fleisch, das mit dem Messer zerteilt werden mußte, wobei Messer und Gabel ganz selbstverständlich am Tisch lagen!

Die Versorgung mit Obst und Gemüse war in Xinjiang, aber auch in Tibet, wohin es über mehr als Tausend Kilometer transportiert werden mußte, kein Problem. In jedem Ort gibt es Märkte mit einem riesigen Angebot. Fladenrot der traditionellen Art wird an vielen Ecken, oft an den Ortsausfahrten, angeboten. Han-Chinesen verabscheuen diese Art von 'barbarischem' Lebensmittel, wir hingegen waren froh, unseren Hunger tagsüber damit stillen zu können. Das gute Mestemacher Dosenbrot blieb dann unberührt.

Nach vielen Wochen spartanischer Ernährung freuten wir uns schon auf die Tage in Urumqi, wo wir mindestens zwei Restaurants kannten, die zum Schlemmen einladen würden. Das erste, jenes im Holiday Inn Hotel, existierte nicht mehr. Das Hotel war geschlossen worden und wird umgebaut. Also gingen wir zum anderen, gleich in der Nähe. In diesem modern gestylten Grill-Restaurant hatten wir schon fünf Jahre zuvor gut gespeist. Doch diesmal erlebten wir eine herbe Enttäuschung. Zu einem hohen Festpreis wurde keine Steaks und andere herzhafte Grillspeisen mehr serviert, dafür gegrillte Innereien und magere Hühnerbeine. Hungrig und um ein anständiges Abendessen gebracht, machten wir uns auf den Weg ins zentral gelegene Xin Mei Hotel, wo wir froh waren, wenigstens ein Nudelfertiggericht warm machen zu können.


Urumqi

Da Wang Lun vorgab, etwas früher als ursprünglich geplant, in Urumqi sein zu müssen, wurde der Zeitplan gestrafft, wodurch sich ein paar zusätzliche Tage Aufenthalt in der Hauptstadt Xinjiangs ergaben. Das war ganz in unserem Sinn, denn auf einige der im Reiseplan vorgesehen Aufenthalte konnte getrost verzichtet werden, wie wir vor Ort erst erkannten.

Der Besuch bei Toyota fiel diesmal aus, er war nicht nötig, das Auto in bestem Zustand. So nutzten wir die Zeit zu Erkundigungen und Streifzügen durch die Stadt. Riesige neue Hotelbauten wurden seit unserem letzten Besuch hochgezogen, andere hingegen, wie das schöne Holiday Inn nach Enteignung der amerikanischen Besitzer geschlossen. Was sofort auffiel beim Bummel über die lebhaften Boulevards: die großzügigen Fußgängerüberwege waren verschwunden, dafür entstanden elegante Unterführungen. Es ist zu vermuten, daß es Sicherheitsgründe waren, die für die Umgestaltung sorgten.

Einige der früheren Einkaufszentrem existierten nicht mehr, neue, hypermoderne, waren an ihre Stelle getreten. Es war überraschend festzustellen, daß Elektronik-Artikel wie z.B. Computer oder Laptops der bekannten Marken hier im Herstellerland wesentlich teurer waren als zu Hause in Deutschland oder Österreich. Das gleiche gilt für Haushaltsgeräte wie z.B. Kühlschränke oder Staubsauger. Die hohen Preise halten Kaufinteressenten aus Kasachstan nicht davon ab, nach Urumqi zum Einkauf zu jetten.

In weiten Teilen der modernen Innenstadt, vor allem aber in den mondänen Shopping Malls, sind Uyguren so gut wie nicht zu sehen. Alles ist fest in Han-chinesischer Hand. Es ist also gut zu verstehen, daß die autochthone uyguirsche Bevölkerung die Vormachtstellung der Han-Chinesen mit Unbehagen und Protest zur Kenntnis nimmt und es immer wieder zu blutig-unterdrückten Aufständen kommt, ungeachtet von Sonderrechten und mancher Bevorzugung der Minderheit. Das gesellschaftliche Leben findet in vielen Bereichen auf unterschiedlichen Ebenen statt. Das einzige verbindende Element ist die chinesische Sprache, die jeder Uygure beherrschen sollte, um in der fremden Kultur nicht unterzugehen.


Hongshan Pagode, Urumqi
Von der Hongshan Pagode hat man einen phantastischen Rundblick über die Millionenstadt Urumqi


Viele Stunden verbrachten wir in der Idylle des Volksparks, der wegen der Nationalfeiertage von Jung und Alt, von Han-Chinesen und Uyguren gleichermaßen, stark besucht wurde. Ausländer sahen wir (glücklicherweise) keine. Es wurde getanzt, natürlich jede Bevölkerungsgruppe für sich, gesungen und musiziert. Jeder der vorbeikam konnte mitmachen und mit Inbrunst lange, schwierige Lieder oder Musikstücke vortragen, wenn ihm danach war, nicht um Beifall erhaschen zu wollen, denn den gab es nicht. Man sang nicht für ein Publikum sondern für sich selbst.


Musikanten im Volkspark
Musikanten im Volkspark von Urumqi



Am Tag vor der Abreise nach Kasachstan große Überraschung: Wang Lun lädt zum Abendessen mit seiner Frau ins vornehmste Restaurant Urumqis, wo selbstverständlich Messer und Gabel am Tisch lagen. Das Buffet war nicht schlecht, so etwas hätten wir uns schon früher gewünscht! Kein Wort zu dem, was uns am nächsten Tag erwarten sollte.

Pünktlich zur verabredeten Zeit trafen wir dann Wang Lun in der Lobby, um zu erfahren, daß er uns die nächsten Tage bis zur Ausreise in Korgas nicht mehr begleiten könne, er hätte zu tun. Wir wußten schon, daß er eine große Kamelexpedition für ein europäisches Forscherteam durch die Takla Makan organisieren und später auch leiten sollte. Diese überfallartige Mitteilung ohne vorherige Warnung war typisch für ihn. Wir konnten damit aber leben, war der vorgesehene Ersatz, eine junge Chinesin namens Winnie, als eher unproblematisch einzuschätzen. Wie sie uns erzählte, war dies ihr erster Einsatz bei Autotouristen. Bislang konnte sie lediglich Erfahrungen im Umgang mit ausländischen Touristen bei kleineren Ausflügen und Museumsbesuchen sammeln. Ob sie unter diesen Umständen aber die komplizierten Ausreiseformalitäten erledigen konnte, war zu bezweifeln. Wang Lun beruhigte uns, es sei alles bestens vorbereitet, nichts stünde unserer Ausreise entgegen. Was er damit meinte, verriet er wie gewöhnlich nicht...


Und hier geht es weiter mit dem Bericht über den Reiseabschnitt Tibet




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