DAS ENDE

Yirghis: 12.11.2005: 48°23,892 N   61°06,854 E
"...weinte ich leise, weil ich wußte, daß es nie mehr sein würde wie früher."
(Reinhold Messner, Gobi)




Nach mehr als 30 Jahren eindrucksvoller und erfolgreicher Reisen mit Geländefahrzeugen durch Afrika, Arabien, Zentralasien und durch alle Winkel der Sahara, war unsere dritte Zentralasien-Tour 2005 vom Pech verfolgt und endete in der kasachischen Steppe bei Yirghis fatal. Glücklicherweise entkamen meine Frau Gerti und ich dem Unheil körperlich völlig unverletzt. Der Verlust unseres treuen Gefährts und der damit verbundenen Perspektiven schmerzt hingegen umso mehr. Ohne den Trost, die beständige Ermutigung und aufopfernde Hilfe der Kasachen, die unsere Freunde wurden, hätten wir die schweren Tage kaum meistern können.






Parallelpisten der M32, kasachische Steppe bei Yirghis

Wie es zu diesem schicksalhaften Unfall kommen konnte, bleibt letztlich unklar. Eines ist jedoch sicher: an diesem Tag waren wir nicht die einzigen, die so endeten. Wir bemerkten 2 andere Fahrzeuge, denen es genauso ergangen war. Nicht umsonst heißt das Teilstück der Magistrale M32 von Aralsk nach Qarabutaq 'Strasse des Todes'. Die M32 folgt zwar einer schnurgeraden, breiten Trasse, die auf einem Damm durch den feuchten Boden der kasachischen Steppe führt. Es ist aber nur zu erahnen, dass hier vor Urzeiten einmal eine Teerdecke vorhanden war. Heute ist diese Haupttrasse eine ununterbrochene Ansammlung tiefster Schlaglochkrater mit senkrechtem Rand. Kein LKW oder gar PKW wird sich hierher verirren. Man benutzt hingegen die seitlich verlaufenden Parallelpisten. Aber auch diese haben es in sich! Hier verlaufen, wegen des glitschigen, tiefen Bodens, stark ausgefahrene Spurrillen. Zum Zeitpunkt unserer Befahrung lag auf der durchweichten, schlüpfrigen Piste eine beschneite Eisschicht. Die Gefahren, mit denen in diesem Teilstück zu rechnen ist, sind ziemlich unabhängig von der Jahreszeit. Uns waren schlimme Berichte von Touristen bekannt, die dort im Sommer unterwegs waren. Es muss also jederzeit unbedingt davon abgeraten werden, die M32 zwischen Shimkent und Aktöbe zu befahren!


schnelle Hilfe

In der menschenleeren Ödnis der Steppe erscheint - o Wunder! - ein Konvoi nagelneuer Tankfahrzeuge auf Überführungsfahrt nach Süden. Alles Lebenswichtige haben wir schon seitlich des havarierten Fahrzeugs gestapelt. Die beiden Bergegurte liegen bereit. Mit durchdrehenden Rädern auf dem vereisten, glitschigen Salztonboden gelingt es den LKWs schließlich, unseren Toyota wieder auf die Räder zu stellen. Das Dach und die rechte Seite sind eingedrückt, Windschutzscheibe und rechtes Seitenfenster zerbrochen. Da mir die Möglichkeit des Hydroschocks auf Grund des Eindringens von Wasser oder Öl in die Zylinder bekannt ist, führe ich als erstes eine Sichtprüfung der Glühkerzen durch. Nichts Auffälliges zu sehen, schon gar kein Motoröl! Also starte ich den Motor, will es zumindest tun. Das Anlasserrelais hört man klicken, der Motor startet dennoch nicht. Die Optima-Batterien sind ok. Die LKW-Fahrer geben nicht auf, der Toyota soll nun angeschleppt werden. Aber das geht ebenfalls nicht! Wie deutlich zu sehen ist, dreht bei eingelegtem Gang das rechte Hinterrad nach vorne, das linke jedoch nach hinten. Zweifellos ein Zeichen dafür, dass die Kardanwelle blockiert ist, möglicherweise durch eine beschädigte Kurbelwelle. Jetzt hilft nur noch abschleppen, das Reduziergetriebe ist dabei auf NEUTRAL gestellt. Und wieder haben wir Glück im Unglück: ein Geologenteam schleppt uns noch 20 km nach Norden, bis wir bereits in stockfinsterer Nacht ein einsames 'Kafe' erreichen, Treffpunkt der Trucker. Einer von ihnen wird uns am nächsten Morgen nach Aktöbe schleppen.


im 'Camping' von Aktöbe

Wie durch ein Wunder erreichen wir in 16-stündiger Fahrt nach mehr als 400 km unter widrigsten Umständen das 'Camping' (Truck Stop) am östlichen Ortsrand von Aktöbe. Frontscheibe und rechtes Seitenfenster fehlen und sind nur notdürftig mit Folie und Tüchern verkleidet. Ein Guckloch in der Frontscheibenfolie erlaubt einen minimalen Ausblick auf das Zugfahrzeug, einen russischen Kamaz-LKW. Mit ihm sind wir durch unseren superstarken Bergegurt (doppelt genommen) verbunden. Durch den schmalen Sehschlitz weht bei -5° ein eisiger Schneewind, der aufgewirbelten Salzschlamm ins Wageninnere und in die Augen weht. Da der Motor nicht mehr läuft sind die Bremsen kaum zu bedienen, die Servolenkung ist ebenso außer Funktion. So ist es verdammt schwierig, auf wechselnde Geschwindigkeiten des Zug-LKWs zu reagieren und nicht auf ihn aufzufahren. Immer wieder führt dies aber dazu, dass der Abschleppgurt von den Vorderrädern unseres Fahrzeugs überrollt wird, was jedesmal schwere Schäden am Gurt zur Folge hat. Nur selten gelingt es, den Gurt straff zu halten, um so den entsetzlichen Ruck beim Anziehen des LKW zu vermeiden. Sollte der Gurt reissen, und alles deutet darauf hin, dass dies bald geschehen wird, könnte uns niemand mehr helfen. Doch unser superbreiter Abschleppgurt hält, gerade noch! Um 1 Uhr in der Nacht erreichen wir die warm geheizte Unterkunft, wo wir von freundlichen Menschen herzlich willkommen geheissen werden!


Volodya (Mitte) und Zhenya (rechts) mit verbogenem Pleuel des 1. Zylinders (Foto: Leonid)

Aktöbe: In der riesigen Toyota Werkstatt von Leonid Soroka begutachtet man den Schaden. Was für hiesige Begriffe ein Totalschaden ist, wird von den Spezialisten in Aktöbe als Routinefall betrachtet, dessen Reparatur nur einen bescheidenen finanziellen Aufwand erfordert, verglichen mit den hier üblichen Kosten. Tag für Tag hat man es mit Schäden dieser Art zu tun. Man kennt sich daher aus. Volodya (Mitte) ist Meister seines Faches im Karosseriebau und die Ergebnisse seiner Arbeit sind wirklich beeindruckend. Er wird den LandCruiser wieder herrichten, da können wir sicher sein! Ersatzteile zur Reparatur des Motors werden aus Dubai eingeflogen, no problem. Zhenya (rechts) ist der neue Besitzer des Fahrzeugs, mit dem er auf die Jagd in der kasachischen Steppe gehen wird, zusammen mit Leonid.

Nach Demontage des Motors bestätigte sich der Verdacht, dass ein Hydroschock sowie gefressene Kurbelwellenlager Ursache des Motorschadens gewesen sein könnte. Dazu kam es vermutlich, als Motoröl literweise in das Luftfiltergehäuse und von dort in den Brennraum des Motors gelangt ist, während des Fahrzeug am Dach lag und der Motor vorerst noch lief. Der Motor wurde zwar vermeintlich sofort abgestellt, es ist aber anzunehmen, dass seit dem Unfallgeschehen bis dahin schon eine gewisse Zeit verstrichen war.


das Werk kasachischer Karosseriekünstler (Foto: Leonid)

Bei einem Rundgang durch seine Werkstatt fielen uns in einer düsteren Ecke zwei übel zugerichtete Unfallwracks auf, beides dicke 80er Toyota LandCruiser. Nein, nein, die werden nicht verschrottet sondern wieder hergerichtet, versicherte Leonid. Und zum Beweis führte er uns zu einem LandCruiser gleichen Typs, der das Aussehen eines Neuwagens hatte - und sein Schicksal mit den beiden Unfallfahrzeugen teilte. Einfach unglaublich, was Volodja, der Karosseriekünstler, vollbringt. Wir wagten nicht zu hoffen, dass unser Unfallauto auch wieder einmal wie neu aussehen sollte... Doch die Hoffnung wurde erfüllt!


Die Wiedergeburt unseres HZJ75 (Foto: Leonid)

Ostern 2006: Endlich erreicht uns die lang erwartete Mitteilung unseres Freundes Leonid! Nach problemloser Reparatur des Motors und fachmännischer Wiederherstellung der Karosserie ist unser alter Toyota nach dem schrecklichen Unfall kaum wiederzuerkennen. Zwar ist er den Bedürfnissen des neuen Eigentümers angepasst und daher teilweise umgebaut worden, dennoch sind wir aufrichtig froh, dass er in die guten Hände von Zhenya gekommen ist, der diesen 'Exoten' gebührend pflegen wird und ihn, seiner ureigentlichen Bestimmung gemäss, im kasachischen Gelände einsetzen wird.

Wir können ihm nur viel Glück und viel Freude mit seinem neuen Fahrzeug wünschen, das einen Ehrenplatz neben seinem HDJ80 in der Garage erhalten wird.







HZJ75 wieder im Einsatz!

Mai 2007. Neuigkeiten aus Aktöbe: Es ist immer eine grosse Freude, von unseren Freunden in Kasachstan, Leonid (Chef von Toyota Aktöbe), Zhenya (dem neuen Besitzer unseres verunglückten HZJ75) und Volodya, dem Karosseriekünstler und Dolmetscher, Neuigkeiten aus dem neuen Leben unseres alten HZJ zu erfahren. Wie wir nun hören, sind Leonid und Zhenya, zusammen mit ihrem Freundeskreis im Februar 2007 bei strengsten winterlichen Bedingungen in der kasachischen Steppe nahe Yirghis auf Wolfsjagd gegangen. Unser alter HZJ75 hat sich dabei tapfer geschlagen, was uns schon etwas verwundert, denn er war in seinem bisherigen Leben eigentlich nur Hitze und Sand gewohnt...


Jagdgesellschaft mit HZJ75 (Foto: Leonid) HZJ75 auf winterlicher Strasse bei Yirghis (Foto: Leonid)
tiefverschneite Wege in der kasachischen Steppe (Foto: Leonid) HZJ75 im Einsatz bei Yirghis (Foto: Leonid)




Oktober 2009: Besuch bei Freunden in Aktöbe


Was lag näher als bei der Rückreise aus China bei meinen Freunden in Aktöbe vorbeizuschauen, um zu erfahren, wie es meinem alten HZJ75 weiter ergangen ist. Was ich hörte, war alles andere als erfreulich. Bei einem der winterlichen Jagdeinsätze bei Yirghis brach das Fahrzeug durch die Eisschicht eines Salzsees bis über die Motorhaube in eiskaltes Wasser ein. Unglücklicherweise konnte Zhenya die drohende Gefahr wegen der hohen Schneelage nicht erkennen. Zwei zu Hilfe geholte schwere Traktoren waren nicht in der Lage, das Fahrzeug, das im Schlamm zu versinken drohte, aus dem See zu bergen. Erst ein mit einer tonnenschweren Steinlast beladener Schwer-LKW konnte den HZJ75 retten. Das Salzwasser richtete erhebliche Schäden an Karosserie und Elektrik an. Der LandCruiser wurde neu lackiert und ist nun wieder im Einsatz. Ich kann nur hoffen, daß er die Gegend um Yirghis in Zukunft meidet!

Leonid, HZJ 75 links, HZJ 78 rechts

  

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